Vorher, nachher: Das Streben nach Profil und Erkennbarkeit am Buchdeckel bleibt dem Leser erhalten.

Grafik: Suhrkamp
Längst ist man sich der verkaufsfördernden Eigenschaften des Buchumschlags bewusst. An einem Design des 21. Jahrhunderts wird derzeit noch gebastelt, wovon man sich auch auf der Frankfurter Buchmesse vom 6. bis 10. Oktober überzeugen kann


Betritt man das Gebäude des Suhrkamp-Verlages in der Frankfurter Lindenstraße, bemerkt man schon in der kleinen Eingangshalle, dass dieses Haus auf Büchern ruht. Die wichtigsten Buchreihen, die literarische "Bibliothek Suhrkamp", die essayistische "edition suhrkamp" und das schöngeistige "insel taschenbuch" sind hier hinter großen, gläsernen Wänden aufgereiht. Jeder Mitarbeiter, jeder Autor, jeder Besucher geht an den farbigen Bänden vorbei, die Gestalter Willy Fleckhaus seit Ende der 50er-Jahre schuf. Wer hier Veränderungen wagt, riskiert viel. Der katholisch geprägte, politisch konservative Autodidakt Willy Fleckhaus (1925-1983) gilt bis heute nicht nur als wichtigster deutscher Magazingestalter der Nachkriegszeit, seine Bucheinbände für den Suhrkamp-Verlag waren die kongeniale Ergänzung des Programms, das mit Schriftstellern wie Hermann Hesse, T.S. Eliot, Bertolt Brecht, Samuel Beckett, Max Frisch und Thomas Bernhard eine eigene Suhrkamp-Kultur begründete.

Der Verlag ging aus der Teilung des Verlages hervor. Peter Suhrkamp hatte den S. Fischer Verlag im Auftrag der Erben über die Nazizeit gerettet. 1950 zerstritt er sich mit Gottfried Bermann Fischer über den künftigen Weg, der Verlag wurde geteilt. Von den 48 Autoren entschieden sich 33 für Peter Suhrkamp, der 1959 schwer krank starb. Suhrkamps engster Mitarbeiter, Siegfried Unseld übernahm die Verlagsleitung. Und Autor Hesse, der die Neugründung angeregte hatte, schrieb ihm: "Der Verleger muss ,mit der Zeit gehen', wie man sagt. Er muss aber nicht einfach die Moden der Zeit übernehmen, sondern auch, wo sie unwürdig sind, ihnen Widerstand leisten können. Im Anpassen und im kritischen Widerstehen vollzieht sich die Funktion, das Ein- und Ausatmen des guten Verlegers. So einer sollten Sie sein."

Entsprechend ermutigt kündigte Unseld die visuell überarbeitete erste Reihe des Verlages, die "Bibliothek Suhrkamp" an: "Dem bloßen Konsumgut soll das dauerhafte, innen wie außen moderne Buch gegenübergestellt sein. Solche Bücher bilden den Kern einer Bibliothek der Moderne," schrieb er 1960 in der Verlagsankündigung. Typografische Titel, weiße Umschläge, die von einem schmalen, farbigen Band in ein oberes Quadrat und ein unteres Rechteck geteilt werden, als Schrift die Baskerville, lösten kalligraphisch gestaltete Einbände ab. Buchhandel und Kritik reagierten anfangs verstört, später mit Bewunderung. Ein weiteres Meisterstück folgt 1963: Den jährlich 48 Bänden der "edition suhrkamp" ordnet Fleckhaus 48 Farben des Sonnenspektrums zu. "Ich sehe ein endloses Band, das sich wieder schließt," sagt er, "selbstverständlich wie die Natur, präzise und schön."

In den Sechzigern wird die edition prägend, weil sie Inhalt und moderne Aufmachung überzeugend verbindet. Ein paar Jahre später, 1971, ruft Unseld die bis heute wichtigste Reihe des Verlages ins Leben, "suhrkamp taschenbuch". Werner Zegarzewski, heute Herstellungsleiter, beschreibt ihre Bedeutung: "Es ist die Reihe, die am umfassendsten das Verlagsprogramm repräsentiert. Sie beherbergt alles, was hier im Haus vorkommt, von der Belletristik bis zum Sachbuch." Wieder erdenkt Fleckhaus ein Farbsystem, diesmal zusammen mit dem langjährigen Hersteller Rolf Staudt. Die streng eingesetzte Times modern black wird zum Markenzeichen für Suhrkamp. Umschlagfarbe und Schriftfarbe sind Ton in Ton gehalten, es gibt zunächst sechs optisch zueinander gehörige Farb-Paare. Kleine Vignetten, ein Autorenfoto oder eine Zeichnung zieren die ersten Bänden. Neun Jahre lang bleibt das variable Gestaltungssystem bestehen.

Dann zieht sich Fleckhaus 1980 nach Italien zurück. Sein Einfluss im Verlag schwindet. "Wiederholungszwänge und nur sie allein geben Stil," hatte er einst Gottfried Benn zitiert. Doch längst zählen in den Buchhandlungen weder Klarheit noch Prinzipientreue. Bilder sind gefragt, sie sollen Emotionen möglichst direkt ins Hirn des Lesers katapultieren. Dem Wort und seiner typografischen Gestalt traut niemand mehr. Fleckhaus wollte einst "aus Schriften Bilder machen". Vielen seiner Kollegen, in England etwa, gelingt dies noch heute. Doch auf den Umschlägen der Taschenbuchreihe finden sich größere, schließlich ganzseitige Fotos, Filmstills oder Illustrationen. Maßnahmen zur Verkaufsförderung lösen jede erkennbare Systematik auf. Das selbst angerichtete Chaos ist nun Grund für den Neubeginn. Als äußerer Anlass dient das 33-Jahre-Jubiläum der Reihe. Die 33 erfolgreichsten Titel bekommen als Erste den neuen Einband. Die Zahl erinnert an die Gründung des Verlages durch 33 Autoren. Die neuen Buchgestalter sind die alten: Der Fleckhaus-Schüler Hermann Michels und seine Partnerin Regina Göllner entwarfen die Umschläge unter Zegarzewskis Mitwirkung. Beherrschend sind Flächen in kalten und warmen Farbtönen, die kontrastierend aufeinander treffen. Ein Längsstreifen zieht sich am rechten Rand des Buches entlang. Großformatige Autorenfotos, Bilder und Illustrationen ermöglichen Abwechslung. Der stets gestürzte Verlagsname soll die Marke Suhrkamp stärken.

Für die Umschläge der literarischen Werke wurde die Minion ausgewählt, Sachbücher erscheinen in der Meta. Seit dem 20. September werden die ersten Bände ausgeliefert. Ein Geniestreich sei derzeit nicht machbar, sagt der Herstellungsleiter. Nicht nur bei Suhrkamp, sondern in der gesamten Designwelt vermag Zegarzewski prägende Ideen derzeit nicht zu erkennen: "Das Design des 21. Jahrhundert gibt es noch nicht." Die neue Einbandgestaltung wirkt zwar sehr edel, doch weit weniger originell als ihre Vorläufer. Den farbigen Seitenstreifen verwenden nahezu alle andere Taschenbuchverlage, unter ihnen Rowohlt, List und der Aufbau Verlag. Alle streben nach Profil und Erkennbarkeit, und alle bedienen sich der gleichen Bildagenturen. Erlaubt ist, was verkauft. Bezeichnend der Name der führenden Designagentur, die für rororo-Buchtitel verantwortlich zeichnet: "any.way".

Die Verlagsszene ist im Umbruch. Die Konzentration bewirkt ökonomische Größe, selten aber Vielfalt. Statt der Lektoren regieren nun Marketingexperten, die sich zwischen Verlagsleiter und Gestalter schieben und den direkten Kontakt häufig unterbinden. Anregungen kommen von Newcomern: Um Verluste aus dem Anzeigengeschäft zu kompensieren, gründete die Süddeutsche Zeitung ihre "SZ-Bibliothek". Der Reihe, die formal wie eine modernisierte Bibliothek Suhrkamp wirkt, gelingt es über den günstigen Einheitspreis von 4,90 Euro, neue Leser für das Medium Buch zu gewinnen. Die Bücher verkaufen sich so gut, dass selbst die Bild-Zeitung eine Bestseller-Bibliothek auf den Markt wirft. Da wirkt die neue Umschlaggestaltung aus der Frankfurter Lindenstraße fast schon ein wenig altmodisch. So seriös und melancholisch - und trifft damit den deutschen Zeitgeist im Jahr 2004. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.10.2004)