"I began writing a certain way because I've always been interested in the grammar of music, in the way it fits together", beschreibt Glass diesen Wechsel. Bei Aufführungen verlangt dies einen hohen Grad an Virtuosität - in diesem Kontext als Durchhaltevermögen verstanden - sowie konstante Konzentration in entspannter Art und Weise.
Radikaler Anfang
600 Lines und How Now (1968) waren die ersten beiden Stücke, die von diesem Ensemble aufgeführt wurden. Mit ihnen startete eine Serie von Werken, in denen die Anwendung von Wiederholungen in dem Meisterstück Music in Twelve Parts, geschrieben zwischen 1971 und 1974, gipfelte. Die beiden Stücke wurden über mehr als dreißig Jahre nicht aufgenommen, diese CD ist das weltweit erste Zeugnis davon.
In ihrer Gesamtheit betrachtet besteht das radikale Element dieser beiden Werke weniger in ihrem zyklischen Rhythmus als im Gebrauch von Monodien. Mehr oder weniger zeitgleich erforschte auch Steve Reich repetitive Techniken, wenngleich er an Kontrapunkten interessiert war. Bestes Beispiel: Piano Phase (1967) für zwei Klaviere, die identische sich wiederholende Muster spielen und langsam der Synchronisation entrinnen. Auch das isolierte Pendulum Music (1968) für ein Mikrofon und zwei Lautsprecher, 1999 wiederentdeckt von Sonic Youth, zeigt diesen radikalen Charakter.
Unter der Struktur
Ursprünglich komponiert für Bläser und Synthesizer, werden 600 Lines and How Now auf dieser CD vom italienischen Ensemble Alter Ego mit Cello, Flöte, Klarinette, E-Gitarre, Orgel und Marimba gespielt. 600 Lines verlangt von den Musikern viel Konzentration ab (das erste Stück der CD dauert 40 Minuten). Aber auch die Zuhörenden sind gefordert. Im Gegensatz zu Philip Glass' lyrischen und manchmal auch kitschigen Kompositionen der 80er Jahre, die ohne viel Aufmerksamkeit gehört werden können, verlangt 600 Lines eine aktive Rolle der Hörerschaft. Denn nicht auf der Melodie soll die Aufmerksamkeit gerichtet sein, sondern mehr auf das Skandieren des Rhythmus und seiner unebenen Progression. In dieser Version verweist auch die Vorherrschaft der Orgel, sowie ihre holprige Beschaffenheit auf den Teint, der ein wenig an Ligeti's Drehorgelkompositionen erinnern.