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Umberto Eco, Spieler mit Zeichen, Bedeutungen und Vergangen- heit(en): Sein jüngster Roman (siehe Bild unten) "Die geheimnis- volle Flamme der Königin Loana" erscheint bei Hanser und ist ab Ende kommender Woche im Buchhandel erhältlich.

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In die Rolle eines Mannes ohne Gedächtnis versetzt sich der italienische Romancier, Essayist und Semiotiker Umberto Eco in seinem jüngsten Roman "Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana". Claus Philipp traf den Bestsellerautor in seinem Atelier im Zentrum von Mailand... - Teil 1


Mailand/Wien – Ein Mann ohne Gedächtnis, der skurrilen Comicshelden und Femmes fatales begegnet: Eigentlich ein Stoff für ein B-Picture, einen Film noir, ein Dreigroschenheft, möchte man meinen. Umberto Ecos neuer Roman Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana zeigt: Es geht auch anders.

Zwar schwelgt sein Held, ein Büchersammler und Antiquar, auf der Suche nach seiner Vergangenheit in alten Relikten der italienischen Popkultur der Kriegs- und Nachkriegszeit. Doch insgesamt strebt Eco in seinem bisher persönlichsten, mit Illustrationen, Liedtexten und literarischen Zitaten durchsetzten Roman nicht weniger an als eine "Autobiografie meiner Generation". Wie blickt man zum Beispiel auf die Mussolini-Ära zurück, wenn man wie Ecos Icherzähler sagen muss: "Tatsächlich war mein Kopf gar nicht leer, es wirbelten allerlei Erinnerungen darin herum, die nicht meine waren ..."?

Eines wird deutlich, wenn man den Schriftsteller in seinem Atelier im Zentrum von Mailand besucht, und dort in Glasvitrinen eben jene Schul- und Bilderbücher findet, die der Roman herbeizitiert: Viele dieser Erinnerungen sind direkt aus dem Leben von Umberto Eco gegriffen.

STANDARD: "Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana" ist in all den autobiografischen Bezügen ein sehr italienisches Buch. Gibt es große Unterschiede in der nationalen und der internationalen Rezeption?

Umberto Eco: Man spürt in den ersten Interviews mit ausländischen Kritikern: Es ist natürlich für Nicht-Italiener eine völlig andere Leseerfahrung. Einmal nur wollte ich aber ein Buch für Italiener schreiben! Als ich es fertig gestellt hatte, sagte ich meinen Verlegern im Ausland, wenn ihr das Buch nicht nehmen könnt, bin ich nicht beleidigt.

Doch im Gegenteil, die Antwort der Deutschen, der Franzosen und der Spanier war eigentlich immer: Nein, wir finden es interessant, weil es sagt unseren Lesern etwas über ein Land, was sie vielleicht nicht wissen – und, klar: Wir lesen ja auch die Ilias, ohne in Troja gewesen zu sein ...

STANDARD: Wenn Sie die Ilias oder die Odyssee ansprechen, könnte man auch sagen, es ist die Geschichte eines Mannes, der heimkehren will. Und die Nebel, Bilder und Klänge, durch die er sich vor- bzw. zurücktastet, sind sehr spezifisch.

Eco: Genau, und das ist wohl ein veritables Problem für den Übersetzer. Wenn ich etwa Lieder aus der Kindheit und Jugend zitiere, dann haben die meisten italienischen Leser bereits zugehörige Melodien im Ohr. Das ist bei Lesern, für die die Texte auch noch übersetzt wurden, nicht der Fall. Daher hat zum Beispiel der US-Verleger vorgeschlagen, dem Buch eine CD beizulegen. Ich fand das durchaus reizvoll. Jedenfalls nähern sich die diversen internationalen Verlage dem Problem sehr unterschiedlich. Bei Hanser stellt Burkhart Kroeber etwa oft die Originalversionen und die Übersetzungen nebeneinander. In den USA versucht man wiederum, anstelle der italienischen Lieder Broadwaysongs mit dem selben Rhythmus wiederzugeben.

STANDARD: Wenn man die Lieder nicht kennt und die italienische Version nicht versteht, entsteht durch die Übersetzung eine eigenartige traumähnliche Situation.

Eco: Das wäre ein reizvolles Thema für eine soziologische Untersuchung von Übersetzungen: Wie erhält man den intendierten Sinn, indem man Dinge weglässt, aber vielleicht andere hinzugewinnt?

DER STANDARD präsentiert Eco an der Burg

Sein erster Roman, Der Name der Rose, erlangte Millionenauflagen. Auch seine folgenden Romane waren Bestseller. Dass Umberto Eco (72) auch einer der weltweit führenden Semiotiker ist, weiß heute fast jedes Kind. Ecos jüngste Lesetournee wird nun auch ein Gastspiel (in Kooperation mit dem STANDARD) in Wien beinhalten:
Am 18. 11. um 20 Uhr
wird Eco im Burgtheater mit STANDARD-Kulturressortleiter Claus Philipp über sein neues Buch sprechen und daraus lesen.
Aus der deutschen Übersetzung liest Peter Matic. Der Vorverkauf hat schon begonnen, etwa unter burgtheater.at

STANDARD: Ihre Bücher wurden in so viele Sprachen übersetzt. Gibt es da kuriose Erfahrungen mit Übersetzungen?

Eco: Die lustigste Geschichte: Es gab eine offizielle arabische Übersetzung von Der Name der Rose, aber auch eine Raubversion, die eine nackte Frau am Titel zeigte unter dem Titel Sex im Kloster. Ich würde gern wissen, was da drinnen steht!

STANDARD: Über Ihren vorletzten Roman ,Baudolino‘ sagten Sie, es sei sehr interessant für Sie, dass man beim Älterwerden dazu tendiert, zu seinen kindlichen Wurzeln zurückzukehren. Der Held von "Königin Loana" tut genau das ...

Eco: Sie meinen: Hätte ich dieses Buch geschrieben ohne vorher Baudolino geschrieben zu haben? Tatsächlich gibt es Parallelen zwischen den beiden Büchern: Sie sind unter anderem Bildungsromane, die auch in meiner Herkunftsregion in Norditalien spielen. Und ich kann nicht sagen, ich hätte mit Baudolino nicht persönliche Erinnerungen verarbeitet, weil ich gab ihm auch eine Sprache, wie sie in dieser Region noch immer gesprochen wird. Aber während ich in Baudolino versuchte, mich ins Mittelalter zu versetzen, mit meinem ganzen historischen Wissen, habe ich jetzt bei der Königin Loana mein Bestes gegeben, einen zeitgenössischen Charakter zu zeichnen, der anders ist als ich. So konnte ich frei sein von Scham und brauchte keine Angst zu haben, sensationelle Enthüllungen meiner Seele preiszugeben. Dem kommt auch die Struktur des Buches entgegen, weil es versucht, eine Erinnerung nicht durch Gerüche oder Gefühle zu rekonstruieren, sondern nur über Papier und Objekte.

STANDARD: Wie haben Sie sich selbst in die Situation versetzt, schreiben zu können: Ich habe meine Erinnerung verloren?

Eco: Ich habe viel klinische Literatur herangezogen und einen Neurologen konsultiert, der mir bestätigte, er habe gerade so einen Fall wie den meines Erzählers kennen gelernt: null autobiografische Erinnerung, aber jede Menge Zitate aus Büchern im Kopf. Es gibt so ein antihistorisches Gedächtnis.

STANDARD: Das führt im Buch zu Szenen wie der, wo der Held fragt, ob eine junge Frau seine Geliebte war. Wenn nicht: Warum ist er eifersüchtig?

Eco: Wenn man eine Menge Bücher liest über das Gedächtnis, entdeckt man, dass viele Patienten, die ihr Gedächtnis verloren haben, um an etwas glauben zu können, sich Realitäten konstruieren, sie glauben fest daran, dass etwas "passiert" sein muss.

STANDARD: Ähnlich wie "Der Name der Rose" spielt Ihr neues Buch sehr stark mit Zeichen und Bedeutungen, kurz: mit Ihren semiotischen Interessen.

Eco: Ach, wissen Sie: Als ich meinen ersten Roman zu schreiben begann, wollte ich etwas machen, das komplett konträr zu meinen akademischen Intentionen war. Nachher hat man mir erklärt, dass wieder "der ganze Eco" drin war. Würde ich das bewusst forcieren, könnte ich mit dem Erzählen aufhören.

Was macht ein "normaler" Romancier denn anders als ich? Auch er liest eine Menge Bücher, Romane und Erzählungen und versucht deren innere Struktur zu verstehen. Er liest eine Menge Wörterbücher. Man könnte sagen: Oft hat so jemand mindestens so viel semiotisches Wissen absorbiert – ohne es zu wissen. Vielleicht sogar, ohne es ausdrücken zu können.

Einen wesentlichen Unterschied gab es diesmal aber: Für andere Romane brauchte ich im Schnitt sechs oder acht Jahre. Hier ging das Schreiben sehr schnell. Ich hatte nämlich Albträume von diversen Erinnerungen, sang immer diese alten Lieder, wollte die Geschichte also schleunigst fertig bringen. An einem bestimmten Punkt sagte ich mir: die Therapie ist beendet. Ihr Hintergrund: 60 Jahre Sammeln von Erinnerungen... (DER STANDARD, Printausgabe, 2./3.10.2004)