Martin Pollack
Der Tote im Bunker
(Zsolnay)

Foto: Zsolnay

In seinem jüngsten Buch, "Der Tote im Bunker", erforscht Martin Pollack das Leben seines Vaters, eines ranghohen NS-Funktionärs. Und analysiert die Wurzeln nationalsozialistischen Denkens in Österreich. Mit dem Autor sprach Cornelia Niedermeier

Wien – Gerhard Bast, studierter Jurist, war illegaler Nationalsozialist seit 1931, ranghoher Offizier der SS. Als Mitglied der Gestapo vom 20. März 1938 an, später als Leiter der Gestapo Linz, befahl und verantwortete er zahllose Todesurteile.

In seinem Buch Der Tote im Bunker – Ein Bericht verfolgt Martin Pollack die Spur jenes nie gekannten Vaters: Gerhard Bast war 1947 auf der Flucht ermordet, die Leiche in einem Bunker in Südtirol versteckt worden. Pollacks Bericht unterscheidet sich grundlegend von der gegenwärtigen Welle literarischer Aufarbeitungen der Familiengeschichte: Unter weitgehender Aussparung emotionaler Stellungnahme verfolgt er faktenreich die Wurzeln der Familie zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts, in das Grenzland Untersteiermark, das nach 1918 zu Slowenien zählte – ein Gebietsverlust, den die deutschsprachige Bevölkerung mit nationalen Ressentiments beantwortete.

Wie wesentlich Martin Pollacks Beitrag die österreichische Geschichtsschreibung erweitert, zeigt das außergewöhnliche Interesse an seinem Buch: nur einen Monat nach dessen Erscheinen ist die erste Auflage von 8.000 Exemplaren nahezu vergriffen und kaum ein Medium im deutschsprachigen Raum, das noch nicht über den Toten im Bunker berichtet hätte.

STANDARD: Wann entschlossen Sie sich, dieses Buch zu machen?

Martin Pollack: Es gab einige sehr frühe Ansätze. Zum Beispiel den Fernsehfilm von Bernhard Frankfurter, Die Erben (1988), über die Kinder von Nationalsozialisten. Dort war ich eine der "Hauptpersonen". Merkwürdigerweise blieb der Film in Österreich ohne jedes Echo. Dann ein Mitteleuropa-Symposium der Wiener Festwochen 1986, das ich organisierte. Dort hielt ich ein Referat, Mutmaßungen über Tüffer, in dem ich die Entstehung der deutschnationalen Gesinnung der Region beschrieb. Gewissermaßen als Gegenbild zur nostalgischen Verklärung von Mitteleuropa. Darum ging es mir auch in dem Buch: Den Beginn des deutschnationalen Denkens in Österreich zu erkunden.

STANDARD: In der Provinz, den Grenzgebieten.

Pollack: Die Untersteiermark war der "feste Hort des Deutschtums". Wo die einen ihre Bismarck-Eichen pflanzten und die Slowenen ihre Linden. Die Bismarck-Verehrung war sehr groß. In meinem Urgroßvaterhaus in Tüffer hingen Kaiser Wilhelm und Bismarck an der Wand – Kaiser Franz Josef mit seinem Vielvölkerstaatsdenken wäre ihnen nie über die Schwelle gekommen.

STANDARD: Deutscher Kaiser und protestantischer Glaube.

Pollack: Es gibt zwei Stränge des Protestantismus in Österreich. Einer stammt noch aus der Reformation. Der zweite, etwa in meiner Familie, ist Teil der Schönerer-Bewegung "Los von Rom", die im 19. Jahrhundert anti-habsburgisch und anti-klerikal auftrat, weil die katholische Kirche in diesen Grenzgebieten in der Regel pro-slowenisch war. Also trat man zum Protestantismus über. Der das Großdeutsche symbolisierte, die deutsche Luther-Bibel.

STANDARD: In Deutschland entwickelte die protestantische Kirche einen Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

Pollack: In Österreich hat sie das Deutschtum sehr hochgehalten und war daher anfälliger für die nationalsozialistische Ideologie. Viele protestantische Orte waren Nazi-Orte, wie Freistadt oder Wels.

STANDARD: Vor zwei Jahren erschien Ihr Buch Anklage Vatermord über den aufsehenerregenden Mordprozess um den aus Riga stammenden jüdischen Studenten Philipp Halsmann 1928, dem vorgeworfen wurde, seinen Vater auf einer Wanderung ermordet zu haben. Zwei ermordete Väter, zwei Vater-Sohn-Geschichten. Zwei Perspektiven auf das deutschnationale Denken in Österreich: dort die antisemitische Hetze gegen Philipp Halsmann, hier die Erkundung der Zusammenhänge.

Pollack: Die beiden Bücher haben stark miteinander zu tun. Ich hatte die Vater-Geschichte immer im Kopf, habe aber den Halsmann-Fall zuerst geschrieben. Es war auch etwas wie die Einübung in das Genre: Herauszufinden, auf welche Weise man eine solche Geschichte distanziert erzählt.

STANDARD: Sie hätten die Entstehung des Nationalsozialismus in der Untersteiermark auch anhand einer fremden Familie berichten können.

Pollack: Ja. Es schien mir aber notwendig, das ganz offen zu machen. Mich meiner eigenen Geschichte zu stellen.

STANDARD: Gegenwärtig – denkt man etwa an die Hochkonjunktur der Hitler-Filme, die den privaten Hitler als Hundeliebhaber zeigen – scheint sich der Blick von der Perspektive der Opfer insgesamt auf merkwürdige Weise der Psychologie der Täter zuzuwenden.

Pollack: Ich glaube allerdings, die Aneignung des Themas durch die Unterhaltungsindustrie ist bedenklich.

STANDARD: Wobei wir wieder bei den Emotionen wären, die komplexe Erklärungen ersetzen. Ihr Buch wäre als Spielfilm nicht denkbar. Seine aufklärerische Kraft bezieht sich aus dem nüchternen Aufzeigen von Zusammenhängen.

Pollack: Österreich bedarf in starkem Maß einer solchen Aufarbeitung. Ein kleines Beispiel: Wenn Sie im Südburgenland, wo ich heute wohne, jemanden fragen: "Wie geht's?", haben Sie zu 80 Prozent, auch bei Jüngeren, die Chance, dass er antwortet: "Alles in deutscher Hand". Nicht, weil sie alle Nazis wären. Es ist unbedacht. Und ist doch nicht ohne Bedeutung.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.10.2004)