Foto: Warner
... und interpretiert Lieder großer Kollegen ihres Heimatlandes.


Eine Schreibblockade ist natürlich eine ernste Sache. Immerhin können es sich nur die wenigsten Musiker heutzutage leisten, längere Zeit auf Tauchstation und mit dem Hund spazieren zu gehen, die Barbiepuppen-Sammlung zu kämmen oder der eigens für Mußestunden gegründeten Kleinfamilie beim Wachsen und Gedeihen zuzusehen. Nur der kanadischen Songwriterin K.D. Lang scheint es karrieremäßig immer besonders gut zu tun, wenn ihr gerade wieder einmal nichts einfällt.

Von ihren Alben Shadowland und Absolute Torch And Twang aus den späten 80er-Jahren herauf bis heute überzeugen, möglicherweise nicht ganz zur Zufriedenheit der ausführenden Künstlerin, gerade Adaptionen fremden Liedguts im Falle K.D. Lang sehr oft am meisten. Dabei hatte die heute 42-jährige Sängerin mit dem warmen, pastoralen Schmelz in der kräftigen Altstimme, der noch jeden von ihr bearbeiteten Song immer auch ein wenig esoterisch und weltabgewandt erscheinen lässt, seit jeher nicht nur mit den eigenen künstlerischen Ansprüchen zu kämpfen. Als bekennende Lesbe versuchte sich Lang anfangs nicht nur in der Country-Hochburg Nashville, Tennessee, im nach rechter Skinheadmusik ungefähr am wenigsten weltoffenen Genre zu etablieren, das die westliche Welt zu bieten hat: im Mainstream-Country, und das mit Erfolg!

Im Laufe der 90er-Jahre ließ sie dann immer mehr ihre frühen Country-Einflüsse hinter sich und wandte sich auf Arbeiten wie Ingenue oder All You Can Eat einer selbstironischen wie gleichzeitig bei allem nötigen Ernst tief empfundenen Form des durchaus strikt nostalgischen und melancholischen Balladen-Croonings zu. Laut US-Kritik war diese irgendwo im Niemandsland zwischen dem reschen, weiblichen Kampf um weibliche Selbstbestimmung der alten Country-Königinnen Patsy Cline oder Loretta Lynn und der eleganten Todessehnsucht der Jazztragödin Billie Holiday angesiedelt.

Bevor K.D. Lang im Jahr 2000 mit der für ihre Verhältnisse sensationell gut gelaunten und lebensfrohen eigenen Songsammlung Invincible Summer ein bis dato letztes Mal mit eigenem Material im Zeichen der Liebe glänzte, erschien 1997 ihr Meisterwerk. Bei Drag, im angloamerikanischen Slang ein doppeldeutiger Begriff, der sowohl das Ziehen an einer Zigarette als auch Transvestitenfummel bedeutet, warf sich K.D. Lang mit einem genialen Konzept in die Schlacht gegen Intoleranz. Als überzeugte Nichtraucherin in ihrer Wahlheimat USA, die Raucher seit einem Jahrzehnt ja nicht gerade nett behandeln, wie auch als überzeugte Verfechterin gleichgeschlechtlicher Liebe und deren rechtlicher Gleichstellung versammelte sie auf Drag Songklassiker zum Thema Rauchen und warb für das Recht auf Glück durch Selbstbestimmung: My Old Addiction, Don't Smoke In Bed, Love Is Like A Ciga- rette, The Air That I Breathe ... Vor allem in den USA wurde die Platte aus nahe liegenden Gründen zum künstlerischen Flop erklärt; wie die Platte auch weit gehend verschwiegen und von diversen Radiostationen boykottiert wurde.

Nach einer mit einem Grammy prämierten Zusammenarbeit mit dem US-Sänger-Altstar Tony Bennett auf dem Album Playin' With My Friends: Tony Bennett Sings The Blues, mit dem auch eine gemeinsame US-Tournee gekoppelt war, folgten drei lange Jahre Stille. Und aus der Not der Ideenlosigkeit und des Wartens auf Inspiration, immerhin hat es mit Simple nur ein einziger Song auf das neue Album geschafft, machte K.D. Lang wieder einmal eine Tugend. Auf Hymns Of The 49th Parallel, gemeint ist damit der 49. Breitengrad, der seit 1818 die Südgrenze von Kanada zu den USA bildet, nimmt sie sich stimmlich gereifter und inniger und weniger auf vordergründige Effekte setzend denn je großer Songwriter-Kollegen ihrer alten Heimat an.

Mit kleinem akustischen Begleitensemble und weit gehend ohne Schlagzeug, um dem Material mehr Raum zum Atmen zu geben, werden hier Klassiker gebürtiger Kanadier interpretiert. Zwar glänzt die Song- und Komponistenauswahl nicht gerade durch Originalität. Immerhin hätte man statt der mehrfach vertretenen großen Alten Neil Young (After The The Goldrush, Helpless), Joni Mitchell (A Case Of You, Jericho) oder Leonard Cohen (Hallelujah, Bird On A Wire) ja durchaus auch exzentrischer auswählen können. Gordon Lightfoot etwa, der große, unterschätzte Songwriter aus den 60er- und 70er-Jahren, der heuer nach schwerer Krankheit ein ansprechendes neues Werk veröffentlichte (Harmony), wäre mit seinen im positiven Sinn weichen und sanften Liedern auf jeden Fall eine Option gewesen.

Immerhin aber finden sich mit Titeln von Jane Siberry, dem ewig unbedankten politischen Aktivisten Bruce Cockburn oder Ron Sexsmith auch weniger erwartbare Künstler. Nach Österreich wird es K.D. Lang im Rahmen einer dazugehörigen Europatournee wieder nicht schaffen. Am 24. 11. ist sie allerdings in der Münchner Tonhalle zu sehen. Musik für die blauen Stunden. Trotz aller Berechenbarkeit ein gelungenes Album. Allein ihre Interpretation von Helpless ist das Geld wert.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.10.2004)