Wien - SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer tritt im Gegensatz zu seinem Parteifreund und geschäftsführenden Klubobmann Josef Cap nun doch für EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ein. Cap hatte tags zuvor in der "Pressestunde" ein deutliches Nein zu solchen Verhandlungen gesagt. In der "Kleinen Zeitung" (Dienstag-Ausgabe) sagte Gusenbauer, die "EU soll Ja zu Verhandlungen sagen, aber nicht mit dem Vollbeitritt als oberstem Ziel". In der Parteiführung herrsche darüber Konsens, meinte der SP-Chef.

Gusenbauer räumte allerdings ein, dass es "unterschiedliche Nuancierungen" in dieser Frage gebe. Der SPÖ-Chef meinte, dass derzeit "weder die Türkei reif für die EU ist noch die EU reif für die Türkei". Nach der Osterweiterung müsse die Union jetzt alles tun, damit aus den EU-25 ein "funktionierendes Gebilde" werde. Dieser Verdauungsprozess habe Vorrang vor weiteren geografischen Dehnungen.

Gusenbauer für Etappen-Strategie

Gusenbauer tritt für eine Etappen-Strategie ein. Als Beispiel für eine "sinnvolle Vertiefung der Beziehungen" schlägt Gusenbauer eine EWR-Mitgliedschaft ohne Freiheit des Personenverkehrs vor. Auch Österreich sei zunächst Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums gewesen.

Ein für alle Zeiten gültiges Beitritts-Nein will der SPÖ-Chef daraus nicht ableiten. "So etwas bis ans Ende aller Tage festzuschreiben, wäre nicht sinnvoll. Schließlich weiß ich nicht, wie der Zustand der EU und der Türkei in 20 Jahren ausschaut".

Keine Beitrittsverhandlungen "auch im Interesse der Türkei"

SPÖ-Europaabgeordnete Maria Berger sieht eine Entscheidung gegen die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara "auch im Interesse der Türkei". "Es ist besser wir haben jetzt die Stunde der Wahrheit als erst in fünf, sechs Jahren", sagte Berger in der Nacht auf Dienstag in der "ZiB3". Sie fürchte nämlich, dass Beitrittsverhandlungen "früher oder später scheitern" werden "und dann stehen wir vor einem Trümmerhaufen". Die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ulrike Lunacek sagte dagegen, die EU dürfe der Türkei nicht die Tür zuschlagen, weil dies den dortigen Reformweg gefährden würde.

Berger kritisierte, dass über Alternativen zum EU-Beitritt bisher noch zu wenig nachgedacht worden sei. Sie sprach sich für eine "Union" zwischen EU und der Türkei aus, die auch für Ankara attraktiv sei. Angesprochen auf die Tatsache, dass die EU-Staats- und Regierungschefs - darunter SPÖ-Bundeskanzler Viktor Klima - im Jahr 1999 der Türkei den Status des Beitrittskandidatenlandes eingeräumt haben, sagte Berger, man habe damals "nicht wirklich geglaubt", dass das Land die geforderten Reformen umsetzt.

Lunacek betonte, dass die Frage der türkischen EU-Mitgliedschaft schon über 40 Jahre "im Raum steht" und bisher noch niemand gesagt habe, dass das nicht gehe. Wenn dies jetzt geschehe, "macht sich die EU unglaubwürdig". Die EU-Beitrittsperspektive sei außerdem sehr wichtig für die Reformkräfte in der Türkei, damit die Menschen dort nicht mehr gefoltert und die Frauen mehr Rechte bekämen.

Die Delegationsleiterin der SPÖ-Europaparlamentarier sagte dagegen, dass die EU nicht alle Länder aufnehmen könne, "deren Reformen wir unterstützen wollen". Eine neue Nachbarschaftspolitik der EU sei daher auch für Länder wie Russland oder Marokko nötig. Mit dem Beitritt von Bulgarien, Rumänien und auch Kroatien werde die EU nämlich eine Größe erreicht haben, "wo die Entscheidungsfähigkeit gerade noch gegeben ist" und auch das nur durch die EU-Verfassung, die noch von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden müsse. Eine starke Union, mit der sich die Bürger identifizieren können sollen, dürfe nämlich "eine gewisse Größe nicht übersteigen", sagte Berger.

(APA)