Wien – Meistens, sagt Marcello La Speranza, gehe er einfach die Stiegen hinunter und sähe sich dann im Keller um. Schließlich, so der 40-Jährige, sei das Netz ja tatsächlich flächendeckend gewesen: "Anfang der 40er-Jahre", referiert der Historiker, "gab es ja den Auftrag, dass jeder Keller zu einem Luftschutzraum adaptiert werden sollte."

Aber wie viele Keller in Wien tatsächlich im Rahmen des "Führersofortprogrammes" auf die von den Nationalsozialisten erwarteten Bombenangriffe auf die großen Städte umgebaut wurden, weiß heute niemand mehr. Und Marcello La Speranza seufzt, dass er "ein Rennen gegen die Zeit" laufe. Denn, "mit jedem renovierten Keller und jeder sanierten Fassade geht ein Stück Zeitgeschichte verloren."

La Speranza ist Bunkerforscher. Und dass man ihn in Wien da meistens nur fragt, was er denn über die Flaktürme zu erzählen wisse, sei bezeichnend, meint der Archäologe. Die sechs Monolithe seien zwar "nach dem Stand der damaligen Technik absolute High-Tech-Bauten" gewesen, nähmen "architektonisch nicht zufällig bei römischen Kastelle, mittelalterliche Burgen und der Bastille" Anleihen und und hätten insgesamt etwa 40.000 Menschen Schutz geboten. Dennoch seien sie nur ein Teil der "Wiener Bunkerlandschaft" gewesen – aber andere, einst das Stadtleben prägende Einrichtungen seien schon fast vergessen, bedauert der Wissenschafter.

Hoch- und Tiefbunker

Etwa, dass es auch noch etliche Tiefbunker – etwa unter dem Yppenplatz – und Hochbunker (einer ist im Währinger Carlson Park noch zu sehen) gab. Oder, dass ab 1943 in Parks "Splitterschutzdeckungsgräben" ausgehoben wurden. Auch, dass unter jedem Wiener Bahnhof ein Bunker gebaut wurde. Oder aber, wozu die an mancher Fassade immer sichtbaren weißen Pfeile dienten (sie wiesen Hiflstrupps den Weg zu möglichen Ausstiegen aus Luftschutzkellern, Anm.). La Speranza: "Wenn man nicht bald beginnt, zu dokumentieren, geht ein Stück Geschichte verloren – die Zeitzeugen sterben, die Spuren verschwinden."

Natürlich, gibt der Archäologe und Buchautor ("Bomben auf Wien", Ibera; "Burgen, Bunker, Bollwerke", Stocker) zu, sei ihm bewusst, dass es schwieriger ist, über "emotional aufgeladene" Bauten zu reden, als über römische, mittelalterliche oder auch nur gründerzeitliche Relikte. Es sei, erklärt La Speranza, ja bezeichnend, dass er sich immer wieder rechtfertigen müsse, "nicht die Ideologie gut zu heißen, wenn ich mich für diese Objekte interessiere."

Sein Wunsch, sagt La Speranza, wäre es, nicht nur in einem Vorraum des Foltermuseums (neben dem Haus des Meeres, Anm.) eine kleine Ausstellungsfläche nutzen zu dürfen, sondern "dass man exemplarisch erhält, was die Stadt einmal geprägt hat."

Im Zuge seiner Recherchen ist der 40-jährige Archäologe aber "meist zufällig" auch auf jüngere Bunkeranlagen als jene aus dem Zweiten Weltkrieg "gestolpert": So gibt es etwa in der Castelligasse oder unter der Schule in der Herbststraße (mutmaßlich) atombombensichere Bunker. Dass auch von denen heute kaum ein Wiener wisse, versucht der Wissenschafter positiv zu interpretieren: Vor 60 Jahren wäre das Nicht-Wissen-Müssen wo der nächste Schutzraum liegt, nämlich ein Wunschtraum vieler Menschen in ganz Europa gewesen.(Thomas Rottenberg, Der Standard, Printausgabe, 28.09.2004)