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Lojze Wieser:
Die Zunge reicht weiter als die Hand. Anmerkungen eines Grenzverlegers.
€ 18,40/208 Seiten. Czernin Verlag, Wien 2004

Foto: Archiv
Lojze Wieser ist im besten Sinne ein "WortLandStreicher". Einer, der Sprache und Seele vagabundieren lässt, der mit der Unruhe des ewig Neugierigen durch die Gefilde europäischer Sprachen streift und dabei die Muße hat, immer neue Wort-Schätze zu heben. Lojze Wieser ist auch ein barocker Mensch: Großzügig und lustvoll verpackt er diese Schätze in kleine, feine Bücher - auf dass möglichst viele Menschen die Grenzen auf der Welt und in ihren Köpfen überlesen mögen. Nicht umsonst nennt er seinen, den Wieser-Verlag, einen "Grenzverlag", nicht umsonst gibt er Reihen heraus, die "Bücher der Ränder" oder eben "WortLandStreicher" heißen. Seit 1979 tut er das, seit 1987 auf eigene Regie und Verantwortung. 600 Bücher sind seither unter seiner Ägide erschienen, davon 250 Übersetzungen aus dem ost- und südosteuropäischen Raum. Er hat Jelinek, Eörsi und Virk eine - seine - Plattform geboten, er hat Handke neben Fabrio und Velikic gestellt und den "Frauen der Ränder" und den Roma-Poeten gleichermaßen zur Sicht- und Lesbarkeit verholfen. Die erfolgreichste Serie des Wieser-Verlags war die 1997 begonnene "Europa Erlesen"-Reihe mit bisher erschienen 80 Bänden. Gut 500 Vorträge, Präsentationen, Lesungen und Diskussionen hat Lojze Wieser in seinem knapp 50 Jahre dauernden Leben bereits gehalten.

Da ist es kein Wunder, dass, wenn so einer eine Autobiographie herausgibt, diese üppig, voller Leben, Lust und Intellekt - und ein wenig chaotisch gerät. Wieser weiß, wo er steht und welche Handlungen und Haltungen ihn dorthin gebracht haben. Er hat gesammelt und gesichtet (und aus seiner Sicht wohl auch geordnet) und ein buntes Buch, bestehend aus Interviews, Reden, Kommentaren und Kritiken, zusammengestellt. Dabei geholfen haben Barbara Maier, Franz V. Spechtler und Peter Handke. Herausgekommen ist eine feine Bestandsaufnahme von 319 Seiten: Die Zunge reicht weiter als die Hand, erschienen im Czernin-Verlag. Dabei ist es kokett untertrieben, wenn Wieser sein Buch mit "Anmerkungen eines Grenzverlegers" untertitelt. Es sind wohl mehr schon kleine Markierungen, Wegweiser, die er in den gesammelten "Positionierungen", "Beredungen", "Wortungen" und "Übertragungen" gab. Etwa, wenn er sich den Themen "Grenzen" und "Fremdsein" von verschiedenen Richtungen nähert. Wieser geht es um Integration, um das Wissen, das die Menschen von einander brauchen, um wahrhaftig miteinander leben zu können. Noch im Juni 2000 stellt er bei seiner Eröffnungsrede zum WEEO-Symposion fest, "dass es dem Westen an grundlegendem Wissen über Südosteuropa und den Osten Europas fehlt, und zwar sowohl in den breiten Bevölkerungsschichten als auch bei der geistigen Elite. Grundlegende Errungenschaften aus diesem Raum für die Entwicklung des europäischen Amalgams können somit nicht in das Bewusstsein der westlichen Gesellschaft dringen."

Die Leser erfahren neben- und nacheinander, wie Wieser auf die Idee mit der "bosnischen Bibliothek" kam, wie er den europäischen Integrationsprozess sieht, wie er schon vor dem Jugoslawien-Krieg sorgfältig "die Serben" von den "faschistischen Politikern in Serbien" getrennt wissen will (eine Unterscheidung, die sein Lebensfreund Handke bedauerlicherweise oftmals nicht so klar traf). Er warnte vor den Bücher-Verbrennern, den Wort-Verdrehern und Sprach-Puristen im Südosten Europas zu einer Zeit, als dort eigentlich "noch gar nichts" sonst passiert war. Köstlich ist das Interview zu lesen, das Uwe Scheffler 1993 mit Wieser führte. Der Interviewer hält dem Verleger charmant, aber gnadenlos vor, hinter dessen "edlen Motiven" verberge sich eine gute Portion Eitelkeit - und Wieser weicht dem Schlag mit Grandezza aus.

Ganz im "WortLandStreicher"-Sinne stößt man auf die eigentliche Kernfrage quasi im Vorbeilesen: Was machte den jungen Kärntner Slowenen Lojze Wieser, Sohn eines kriegsinvaliden Maurers und einer bibliophilen Mutter, zum Grenzverleger? Es sind die autobiographischen Steinchen, quer über das Buch verstreut, die den literarischen Weg Wiesers nachzeichnen - und die am Ende auch berühren. (ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 25./26.9.2004)