Da ist es kein Wunder, dass, wenn so einer eine Autobiographie herausgibt, diese üppig, voller Leben, Lust und Intellekt - und ein wenig chaotisch gerät. Wieser weiß, wo er steht und welche Handlungen und Haltungen ihn dorthin gebracht haben. Er hat gesammelt und gesichtet (und aus seiner Sicht wohl auch geordnet) und ein buntes Buch, bestehend aus Interviews, Reden, Kommentaren und Kritiken, zusammengestellt. Dabei geholfen haben Barbara Maier, Franz V. Spechtler und Peter Handke. Herausgekommen ist eine feine Bestandsaufnahme von 319 Seiten: Die Zunge reicht weiter als die Hand, erschienen im Czernin-Verlag. Dabei ist es kokett untertrieben, wenn Wieser sein Buch mit "Anmerkungen eines Grenzverlegers" untertitelt. Es sind wohl mehr schon kleine Markierungen, Wegweiser, die er in den gesammelten "Positionierungen", "Beredungen", "Wortungen" und "Übertragungen" gab. Etwa, wenn er sich den Themen "Grenzen" und "Fremdsein" von verschiedenen Richtungen nähert. Wieser geht es um Integration, um das Wissen, das die Menschen von einander brauchen, um wahrhaftig miteinander leben zu können. Noch im Juni 2000 stellt er bei seiner Eröffnungsrede zum WEEO-Symposion fest, "dass es dem Westen an grundlegendem Wissen über Südosteuropa und den Osten Europas fehlt, und zwar sowohl in den breiten Bevölkerungsschichten als auch bei der geistigen Elite. Grundlegende Errungenschaften aus diesem Raum für die Entwicklung des europäischen Amalgams können somit nicht in das Bewusstsein der westlichen Gesellschaft dringen."
Die Leser erfahren neben- und nacheinander, wie Wieser auf die Idee mit der "bosnischen Bibliothek" kam, wie er den europäischen Integrationsprozess sieht, wie er schon vor dem Jugoslawien-Krieg sorgfältig "die Serben" von den "faschistischen Politikern in Serbien" getrennt wissen will (eine Unterscheidung, die sein Lebensfreund Handke bedauerlicherweise oftmals nicht so klar traf). Er warnte vor den Bücher-Verbrennern, den Wort-Verdrehern und Sprach-Puristen im Südosten Europas zu einer Zeit, als dort eigentlich "noch gar nichts" sonst passiert war. Köstlich ist das Interview zu lesen, das Uwe Scheffler 1993 mit Wieser führte. Der Interviewer hält dem Verleger charmant, aber gnadenlos vor, hinter dessen "edlen Motiven" verberge sich eine gute Portion Eitelkeit - und Wieser weicht dem Schlag mit Grandezza aus.