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Peter Weibel beteiligte sich Ende Oktober 1966 am "actions concert für al hansen" in der Galerie nächst St. Stephan. Sein Beitrag nannte sich "action lecture II [kritik der kunst als sprache]". Unter anderem tippte er blind einen Vortrag. Warum er sich die Zähne putzte, weiß Weibel heute nicht mehr.

Foto: Archiv Weibel
Peter Weibel ist Kunst-, Kultur- und Medientheoretiker, Künstler, Dichter, Ausstellungskurator, Museumsdirektor, Historiker und so weiter. Eine Ausstellung in der Grazer Neuen Galerie nähert sich exemplarisch seinem frühen künstlerischen Wirken.


Graz - Das offene Werk, so der Titel der Peter-Weibel-Schau in der Grazer Neuen Galerie, behandelt die Jahre 1964 bis 1979, also das künstlerische Frühwerk. Den 60sten Geburtstag von Weibel hat sein Haus (der Polyartist ist Chefkurator) zum Anlass genommen, um eine konzise Schau, kuratiert von Günther Holler-Schuster und Peter Peer, zu realisieren, die den Besucher mitnimmt auf eine kulturhistorische Reise von der Gutenberg-Galaxie in die Welt der neuen Medien.

Gezeigt wird eine Fülle von Material: sprachkritische Arbeiten der frühen 60er Jahre, die gemeinsamen Aktionen mit Valie Export, Aktionsfotos, Körpertexte, Expanded Cinema bis hin zu den Tele-Aktionen und den Closed-Circuit-Videoinstallationen. Es macht Spaß, einige bekannte Klassiker in dieser Fülle und auf einem Platz wieder zu sehen. Es ist zum einen sicher so etwas wie die "Grazer Musealisierung seines Lebens und seiner Werktätigkeit" (Bazon Brock).

Zusätzlich werden viele Arbeiten das erste Mal präsentiert, einige sind Realisierungen von Konzepten, die es bisher nur auf Papier gab. Auch die politischen Aktionsräume wurden in dieser umfassenden Form noch nie gezeigt. Sie alle entführen in eine Zeit des Aufbruchs, in der viele andere Künstler sich allzu oft mit der Expression von vorgeblich existenziellen Fragestellungen individualistisch auseinander setzten, um so meist beim Bild als Repräsentation einer wie auch immer gearteten Realität - und sei sie auch abstrakt - zu landen.

Problemzonen

Weibels frühes Werk ist geprägt nicht durch autobiografische Signatur, sondern durch Themenfelder und Problemzonen: die Mechanismen der Wahrnehmung und des Denkens, die Eigenwelt der Apparatewelt, die Krise der Repräsentation, des Bildes und des Museums, die Beziehungen von Kunst, Politik und Ökonomie, die Bedingungen des Betriebssystem Kunst.

Die Kritik der Genealogien von Staat-Sprache-Wirklichkeit übertrug er bald auf die Medien. Die Sprachkritik der frühen 1960er führte, unterstützt durch sein Logikstudium, seine Kenntnis formaler Sprachen und Systeme, mathematischer Modelle, von Kybernetik und Automatentheorie um 1970 zur Medienkritik, zur Kritik der Massenmedien und ihrer Mechanismen der Abbildung, Kommunikation und Konstruktion von Wirklichkeit - und damit zu einer Kritik der Gesellschaft und des Staates, der über die Massenmedien, die Sprache, die Gesetze, die sozialen Institutionen diese Gesellschaft diktierte und wohl immer noch diktiert.

Daraus ergibt sich ein Werk, das in der Pluralität seiner Methodik und in der Kohärenz seiner Problemstellung den Entwurf eines neuen Werk-und Künstlerbegriffs in seltener Radikalität vorlegt. Nachdem Medientheorie nicht Bildtheorie, sondern Wirklichkeitstheorie ist, ist das Weibelsche Universum oder Pluriversum eines, das schon in der Frühzeit seiner Entstehung und Ausdehnung institutionelle Grenzen sprengte und von Literatur über Mathematik, bildende Kunst bis hin zur Popmusik reicht. Auch das ist es, was die Ausstellung auf schöne Weise zeigt.

Gert Jonke schreibt äußerst treffend: "Weibel beschränkte sich auf kein Medium, sondern behandelte alle Medien gleichwertig und hat damit die nachfolgenden Generationen nachhaltig beeinflusst. Sprache konnte zur Skulptur werden, Aktionen zu Objekten und Bilder zu Sprache. Mit einer Vielfalt von Materialien, Methoden und Medien hat Weibel, immer am Limit, ein Nomade zwischen Kunst und Wissenschaft, Anarchie und Forschung, dazu beigetragen, die Grenzen der Kunst, der Wahrnehmung, des Bewusstseins und der Wirklichkeit zu erweitern, bis zu dem Grad, wo die Instanzen der Gesellschaft, vom Kunstmarkt zur Polizei, sich fragten: Ist das noch Kunst? Ist das schon Kunst? Wo ist die Kunst?"

Auch drei Publikationen widmen sich der Person und der komplexen Persönlichkeit Weibels. Zum einen der Ausstellungskatalog, der bei Hatje Cantz erscheinen wird. Weiters das Buch Peter Weibel. X-Dream bei Droschl, herausgegeben von Alfred Kolleritsch und Christa Steinle, mit Beiträgen u. a. von Günter Brus, Friedrich Achleitner, Elfriede Jelinek und Gerhard Rühm. Und die bei Philo in der Reihe Fundus erschienene Sammlung Gamma und Amplitude von medien- und kunsttheoretischen Schriften Weibels. (DER STANDARD, Printausgabe, 25./26.9.2004)