Bild nicht mehr verfügbar.

Friedrich Christian Flick - hier neben Martin Kippenbergres "Der junge, fortschrittliche Doktor" - hat für vorerst sieben Jahre eine Institution gefunden, die seine Sammlung präsentiert: den Hamburger Bahnhof

Foto: AP/Finck
Berlin - Bürger wie Friedrich Christian "Mick" Flick hat sich die Berliner Republik immer gewünscht. Der Mann ist finanzkräftig, kunstsinnig, nicht zu intellektuell, dafür dem gesellschaftlichen Leben zugeneigt. Er hat eine Sammlung von Meisterwerken der neueren Zeit zusammengetragen, bei denen es schade wäre, wenn sie nirgends gesehen werden könnten.

Mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat Flick nun eine Institution gefunden: den Hamburger Bahnhof. Das Gebäude wurde dafür eigens erweitert, die umfangreichen Bestände aus anderen Sammlungen wie die Beuys-Schätze von Erich Marx wurden weggeräumt, und zur Eröffnung sprach der deutsche Kanzler.

Die Sache hat jedoch einen Haken: Es ist ein Großereignis "im Schatten Hitlers", wie Klaus-Dieter Lehmann, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, ein wenig verstimmt bemerkte. Friedrich Christian Flick hat den größten Teil seines Vermögens geerbt - von einer Familie und aus einer Unternehmensgeschichte, in der beträchtliche Profite aus der Zeit des Nationalsozialismus stammen.

Friedrich Flick, der Großvater des Sammlers, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von einem US-Tribunal zu sieben Jahren Haft verurteilt, hauptsächlich, weil der Konzern schon sehr früh und in großem Stil Zwangsarbeiter beschäftigt hatte und offensiv von "Arisierungen" profitierte. Diese Tatsachen stehen im Raum - und damit auch in den Räumen, in denen von Bruce Nauman bis Dieter Roth die großen und weit gehend unumstrittenen Vertreter der jüngeren Kunstgeschichte ausgestellt sind.

Ersatzmuseum

Der Sammler Flick wird bei seinen Ankäufen von der Züricher Galerie Hauser & Wirth beraten, die einen soliden Kanon der teuersten Künstler des Westens zum Teil selbst vertritt. In Berlin, in dem ein Haus für die neueste Kunst fehlt, schafft die "Flick-Collection" vorerst temporär Abhilfe: "Wir eröffnen heute ein Museum der Gegenwartskunst", deklarierte Kulturstaatsministerin Christina Weiss die Ausstellung entsprechend um. Sie wird passenderweise zwei Tage nach Schließung der sehr populären Schau Das MoMa in Berlin eröffnet, deren Publikum nun auch in den Hamburger Bahnhof gelockt werden soll.

Der Sammler selbst gab sich bei der Eröffnung wortkarg: Die Verantwortung für seine Familiengeschichte könne ihm niemand abnehmen, aber auch niemand vorschreiben, bekundete er. Er unternahm keinen Versuch zu erklären, warum er sich geweigert hatte, Geld in den Fonds für die Zwangsarbeiterentschädigung einzuzahlen - eine unterlassene Geste, die umso schwerer wiegt, als sich schon sein Großvater nach dem Krieg unerbittlich gegenüber Entschädigungsforderungen gezeigt hatte.

Mit einer eigenen Stiftung gegen Rechtsextremismus hat Flick seinen Pflichtteil an politischer Verbindlichkeit geleistet. Er musste einiges einstecken, bevor er sich nun in Berlin in das "Modell einer Partnerschaft" zwischen öffentlichem Interesse und privatem Engagement finden konnte. In Zürich, wo die Flick-Collection ursprünglich ihren Ort finden sollte - in einem Gebäude von Rem Koolhaas -, haben Bürger dies verhindert: Sie insistierten auf dem Zusammenhang zwischen dem Flickschen Erbe, in das die Profite aus dem Nationalsozialismus eingegangen wären, und der Kunst, deren Erwerb dadurch ermöglicht wurde.

In Berlin fand Flick dann eine Stimmung vor, die ihm deutlich entgegenkam: Hier wird die Schau als weiterer Schritt der Normalisierung verstanden. "Die Kunst darf nicht haftbar gemacht werden" - so und so ähnlich lauteten die Formulierungen, mit denen die Flick-Collection legitimiert wird.

Familiärer Widerstand

Aber auch in Deutschland gab es Widerstand. Der markanteste Einspruch kam von Dagmar Ottman, der Schwester des Sammlers: Sie verwahrte sich dagegen, den Familiennamen Flick für die Collection zu beanspruchen, und schlug ein Moratorium für weitere historische Forschungen vor. Die werden nun nachgeliefert, als Begleitdiskurs zur Kunst, der mit den ausgestellten Arbeiten nichts zu tun hat. Bei den Werken, die davor im Hamburger Bahnhof zu sehen gewesen waren, den deutschen Mythologien von Anselm Kiefer oder den Beuys-Installationen, gab es diese Verbindungen noch.

Flicks Sammlung ist international mit einem deutlichen Schwerpunkt auf den USA. Der Hauptraum gehört beinahe ausschließlich einem Riesenkinderzimmer von Jason Rhoades, in der Kleihues-Galerie sind mehrere Hauptwerke von Bruce Nauman vertreten, und Paul McCarthy hat neben einem Video-Saloon noch zahlreiche weitere Arbeiten über die zwei Etagen und drei Flügel verteilt.

In den eigens errichteten Rieck-Hallen teilen sich Franz West und Martin Kippenberger einen Raum, während Dieter Roths Gartenskulptur einen Raum für sich allein hat. Ganz hinten steht dann im Dunkeln das kleine Holzbett von Fischli/Weiss, aus dem Traumgespinste in Frageform über die Wände geistern: "Soll ich mich der Forschung zur Verfügung stellen?"

Die Videokünstlerin Eija-Liisa Ahtila, die mit Production Stills aus ihren unheimlichen Filmen vertreten ist, reicht am ehesten in eine Gegenwart, in der die Fragen des künstlerischen Stellenwerts noch nicht vollständig beantwortet sind. Aber auch sie, die vor wenigen Jahren in der Berliner Neuen Nationalgalerie bereits eine auffällige Personale hatte und auf der letzten Documenta schon für selbstverständlich genommen wurde, muss nicht mehr durchgesetzt werden.

Es gibt gelegentliche Fundstücke wie Larry Clarks Tulsa-Fotografien, die als Buch vergriffen sind. Es gibt ein Minimum an Witz, für den Paul McCarthy beinahe im Alleingang zuständig ist, etwa mit seiner Skulptur Bear and Rabbit. Es gibt eine Heimkehr mit der Filminstallation Der Sandmann von Stan Douglas, die in Berlin entstand und immer noch einen der besten Kommentare zu den romantischen Abgründen der deutschen Nationalidee formuliert.

Einen Anspruch auf Kohärenz oder gar eine Erzählung gibt es nicht. Die Flick-Collection stellt in erster Linie eine öffentliche Investition dar, einen gemischten Fonds. Das Subjekt Friedrich Christian Flick findet als Sammler keinen Weg aus der Familiengeschichte. Er bleibt ein Konzernherr, der geschickt diversifiziert, aber alle ertragsfreien Zweige stilllegt.

Dass die Werke als Vermögenswerte auf der englischen Kanalinsel Guernsey steuerschonend registriert sind, wurde ebenfalls vermerkt. "Steuerflüchtlinge - zeigt eure Schätze", ließen Kritiker unweit des Hamburger Bahnhofs plakatieren. Auf diese Sammlung wird sich die Berliner Republik nicht einigen. (Bert Rebhandl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. 9. 2004)