Foto: e-buehne
Es gibt anrührende Autoren, deren literarischer Textteig so herzenswarm temperiert, handwerklich perfekt durchmodelliert und zu szenischen Feinpralinen der Konditor-Sonderklasse ausgeformt sind, dass dem Zuhörer nach zwei, drei Kostproben der Appetit vergeht. Eine solche zwiespältige Erfahrung von Gefesseltsein und absoluter Langeweile im sanften Dahingeplätscher realistischer Miniplots und metaphysischer Spekulationen durfte man bei der österreichischen Erstaufführung von Dea Lohers Bühnen-Leporello Unschuld machen. Die Elisabethbühne, Salzburgs junges Schauspielhaus, beschäftigt seine gesamte Darstellergarde unter der feinfühligen Regie von Ina Tartler mit Theatermaterial, in dem man fermentierte, wieder aufbereitete Bühnengeschichte ebenso erkennt wie das nicht ausschöpfbare, heulende Elend des kaputten Durchschnittsmenschen. Es geht um Entwurzelte, Schuldbeladene, Wirklichkeitsflüchtlinge, Wahrheitssuchende, Alkoholisierte, Träumer beiderlei Geschlechts aus allen sozialen Biotopen. Die Mischung aus gutem altem Existenzialismus und modischer Freakshow der Ausgebufftheit überzeugt in kleinen gelungenen Happen, nicht aber als hochfahrende Exegese des humanen Totalruins. Loher geht nie schmerzhaft unter die Haut. Dazu ist ihr Stil viel zu kunstfertig und selbstverliebt-abgehoben. Als Trainingsstoff für Jungschauspieler eignet sich "Unschuld" allemal ideal. (gugg/DER STANDARD, Printausgabe, 21.9.2004)