Peking - Mit seiner Ernennung zum Oberfehlshaber der 2,3 Millionen Mann starken Armee steht der chinesische Staats- und Parteichef Hu Jintao auf dem Gipfel seiner Macht. Allerdings tritt er erst allmählich aus dem Schatten seines Vorgängers Jiang Zemin. Dieser räumte zum Ende der viertägigen Sitzung des ZK-Plenums der Kommunistischen Partei am Sonntag zwar seinen Platz an der Spitze der mächtigen Militärkommission der KP. Doch auch jetzt noch dürfte Jiang als Strippenzieher hinter den Kulissen tätig sein - nicht zuletzt über seinen Vertrauten, den stellvertretenden Staatspräsidenten Zeng Qinghong.

Den heute 61-jährigen Hu hatte Chinas starker Mann Deng Xiaoping schon Jahre vor seinem Tod 1997 für die Position an der Spitze des mit 1,3 Milliarden Menschen bevölkerungsreichsten Landes der Erde auserkoren. Als Vertreter der "vierten Generation", wie die offizielle Propaganda die verjüngte Führung nennt, trat Hu im November 2002 die Nachfolge des mittlerweile 78 Jahre alten Jiang als KP-Generalsekretär und im März 2003 auch als Staatspräsident an. Aber erst jetzt konzentriert er die gesamte Machtfülle in seiner Hand - wie vor ihm Jiang, Deng und Mao Tse-tung.

Profil

Ob der bisweilen als "Modernisierer" und "Reformer" eingeschätzte Hu jetzt ein eigenständigeres Profil gewinnen wird, muss sich erst noch zeigen. Vor wenigen Tagen hielt er aus Anlass des 50. Jahrestags der Gründung des Nationalen Volkskongresses eine Grundsatzrede, die auch von Jiang hätte stammen können. Darin betonte Hu die Führungsrolle der Kommunistischen Partei, welche die Leitlinien von Politik und Gesetzgebung bestimme und für die Besetzung der wichtigsten Regierungsposten zuständig sei. Der Aufbau einer Demokratie nach westlichem Muster mit Gewaltenteilung, Mehrparteiensystem und direkten Wahlen für hohe Regierungsämter könne China nur in eine "Sackgasse" führen.

Im vergangenen Monat würdigte Hu seinen Ziehvater Deng Xiaping in einer Rede aus Anlass von dessen 100. Geburtstag als "Chefarchitekten" der chinesischen Marktreformen. Zugleich drohte er damit, jeglichen Versuch zu "zerschmettern", das von Peking als abtrünnige Provinz angesehene Taiwan von China abzutrennen oder in die Unabhängigkeit zu entlassen.

Einige Beobachter sind der Auffassung, solche Rhetorik sei der Rücksichtnahme auf den nach wie vor mächtigen Jiang und dessen Leute im Partei- und Regierungsappparat geschuldet. Schließlich habe sich Hu bei anderer Gelegenheit mehrfach für eine "sozialistische Demokratie" und eine stärkere Berücksichtigung der Bedürfnisse der Menschen ausgesprochen. Auch für die Mittellosen, Armen und Unterprivilegierten habe er sich immer wieder stark gemacht.

Mit der Armut im Reich der Mitte wurde Hu während seiner Parteikarriere mehrmals konfrontiert. Nach dem Abschluss seines Studiums als Wasserbauingenieur an der Tsinghua-Universität in Peking, Kaderschmiede vieler ranghoher Funktionäre, schickte ihn die Partei in einige der ärmsten Gegenden des Landes. In der nordöstlichen Provinz Gansu war er ab 1968 - zur Zeit der Kulturevolution - zunächst als Techniker an einem Staudammprojekt beteiligt.

Nach einem Zwischenaufenthalt in Peking brachte es Hu 1985 mit 43 Jahren zum landesweit jüngsten Parteisekretär in der südwestlichen Provinz Guizhou. Ende 1988 wurde er Parteichef in Tibet, wo er im März 1989 mit harter Hand gegen eine Revolte durchgriff und damit einem Jahrzehnt der unter anderem vom frühren Parteisekretär Hu Yaobang betriebenen Liberalisierung ein Ende setzte.

Nach der maßgeblich von Deng betriebenen blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Tiananmen-Platz in Peking im Juni 1989, die seinen früheren Förderer, Ministerpräsident Zhao Ziyang, Amt und Einfluss kosteten, ging es mit Hus Karriere steil nach oben. 1992 wurde er jüngstes Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei. Dafür reichte offenbar die von Deng überlieferte knappe Empfehlung: "Er ist ein guter Genosse". Kontinuierlich bereitete ihn die Parteiführung daraufhin auf die höchsten Ämter im Staate vor.

Erst jetzt dürfte Hu nach und nach zeigen, was wirklich in ihm steckt und vielleicht diejenigen Lügen strafen, die in ihm bisher lediglich einen eher blassen Aparatschik und konturlosen Technokraten sahen. (APA)