Foto: Süddeutsche Bibliothek
Als Wolfgang Koeppens Roman Das Treibhaus mit seiner Kritik am dampfenden Restaurationsklima der noch jungen Bundesrepublik 1953 erschien, schlug er in Bonn wie ein Blitz ein. Die Parlamentarier lasen das Buch - in banger Erwartung von Anspielungen auf sich selbst und auf der Suche nach pikanten Enthüllungen über Freund und Feind im Hauptstadtzirkus - als Schlüsselroman. Die Kritiker betonten das investigative Moment des Buches, trotz der Versicherung des Autors, dass der Roman "seine eigene poetische Wahrheit" habe.

Das Treibhaus war das erste Buch im Adenauerstaat, das sich eines hochbrisanten Themas der bundesrepublikanischen Politik literarisch annahm, indem es die Wiederaufrüstung thematisierte, die im Jahr zuvor vom Bundestag beschlossen worden war. Dass etliche der Kunstfiguren Züge realer Personen trugen (Adenauer etwa ist immer nur "der Kanzler" oder "der Chef"), rückte den Roman noch näher an die Wirklichkeit heran.

Der Protagonist ist Keetenheuve, ein oppositioneller Parlamentarier, der am Parlamentarismus leidet ("Vielleicht wusste das Volk, was es will. Aber seine Vertreter wussten es nicht"), der in den Augen seiner Parteigenossen "ein Gewissensmensch und somit ein Ärgernis" ist, den es auf einen gut dotierten Posten ins Ausland abzuschieben gilt. Doch Keetenheuve hat längst resigniert: Nach dem Freitod seiner "Kindfrau" Elke reist er am Tag vor der Abstimmung zur Wiederaufrüstung mit dem Nibelungenexpress nach Bonn. Ein desillusionierter Idealist, der Cummings und Baudelaire liest und in der selbstquälerischen Art des Romantikers das Treibhaus Bonn durchstreift. Am nächsten Tag, nach der Abstimmung, die mit einer Niederlage der Opposition endet, und nach der Begegnung mit der jungen Lena in einem "Akt vollkommener Beziehungslosigkeit", kommt er zu dem Schluss: "Er war sich selbst eine Last, und ein Sprung von dieser Brücke machte ihn frei."

Das Treibhaus blieb weit über die fünfziger Jahre hinaus aktuell. Wolfgang Koeppens Kritik an der Einwanderungspolitik wirkt aus heutiger Sicht beängstigend hellsichtig. (DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.9.2004)