Damals, im Führerbunker bzw. jetzt im Kino: Eva Braun (Juliane Köhler), Adolf Hitler (Bruno Ganz) und Albert Speer (Heino Ferch) in Bernd Eichingers Großproduktion "Der Untergang". So war es doch wirklich, oder?

Foto: Constantion Film
Ein seltsames Bild bot sich am späten Montagabend bei Beckmann im Fernsehen. Vier Männer, der Moderator inbegriffen, saßen da in ihren Talk-Möbeln und hörten Adolf Hitler zu, von dem ein Tonband eingespielt wurde - das einzige, das ihn im Umgangston überliefert. Von "Schönwetterbewaffnung" faselt der Führer da. Er ahnt schon, dass der Krieg nicht zu gewinnen ist. Aber das Ausmaß der Katastrophe ist noch jenseits seiner apokalyptischen Vorstellungskraft.

Das Tonband dokumentiert ein Stück Alltag aus dem Dritten Reich. Von den vier Männern hörte Bernd Eichinger nur halb hin. Er kennt das Material zur Genüge, schließlich hat er selbst das Drehbuch zu Der Untergang geschrieben. Er hat seinen Hitler so lange studiert, bis er in sein Hollywood-Über-Ich passte. Dann begann er mit der Finanzierung.

Ulrich Matthes, der in Der Untergang den Propagandaminister Joseph Goebbels spielt, hörte dem Tonband so zu, wie man einem Feind zuhört: reserviert, aber auf der Hut. Er hörte als Schauspieler zu, der vor den Figuren zurückscheut, unter die er sich da begeben hat. Reinhold Beckmann, der Moderator, hörte ungeduldig zu, weil er das Tonband als Belastungsmaterial sah. So nahe sollte man Hitler nicht kommen wollen, auch nicht in einem Film, der im Führerbunker spielt und aus der Perspektive einer Sekretärin erzählt ist.

Bruno Ganz aber, der in Der Untergang den Adolf Hitler spielt, hörte mit einer beinahe zerstreuten, freien Aufmerksamkeit zu, als hätte ihm die Stimme noch immer etwas zu erzählen. Kein Geheimnis, aber eine Facette, die er in seinem Spiel noch nicht gefunden hatte. Ein Detail an Hitler, das er noch nicht verstanden hatte. Ganz sieht sich als "Menschendarsteller", mit seiner Neugierde legitimiert er im Prinzip den ganzen Film, der Hitler doch sowohl "menschlich" wie auch "dämonisch" zeigen will.

Die kleine Talk-Gruppe kann repräsentativ für jene deutschsprachige Öffentlichkeit begriffen werden, die in den letzten Woche den Medienrummel um Der Untergang bestritten hat. Matthes steht, mit seinen Skrupeln, für eine politisch korrekte Orthodoxie, die im Prinzip bilderskeptisch ist und alle Bemühungen um eine Darstellung des Nationalsozialismus eher argwöhnisch beobachtet. In seiner Ambivalenz äußert sich noch der methodische Zweifel der Historiker, die um den Annäherungs- und Aneignungscharakter ihrer Arbeit wissen, aber auch, dass sie nicht die Sache selbst zur Darstellung bringen können.

In Reinhold Beckmann konnte man das gespaltene Bewusstsein des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland wiedererkennen, das ja eigentlich ein Instrument der Entnazifizierung war. Viele Jahre haben ARD und ZDF ihren Bildungsauftrag in einer Weise ausgeübt, die eher reserviert gegenüber den Bildern war. Erst mit dem Privatfernsehen hat sich die Medienlandschaft so grundlegend gewandelt, dass die öffentlich-rechtlichen Sender selbst zu Vorreitern eines "visual turn" im Geschichtsfernsehen wurden.

In Der Untergang stecken eine Menge Fernsehgelder, und Beckmann zitierte die Kritiker des Films mit der Pflichtschuldigkeit dessen, der sich längst auf einer anderen Ebene der Auseinandersetzung weiß.

Bernd Eichinger wiederum bezeichnet Hitler gern als "den größten singulären destruktiven Charakter in der Geschichte", und bedient sich dabei beinahe des soziologischen Deutsch, das die Historiker schreiben, die er nicht mag. Der Untergang ist auch Eichingers Triumph über "die Achtundsechziger", die als Generation schwer zu definieren sind. Man kann ihnen aber doch jene von Jürgen Habermas immer wieder vertretene republikanische, verfassungspatriotische, theorieinteressierte Erinnerungskultur unterschieben, die den Nationalsozialismus als ein Kräftespiel beschreibt, das komplexer ist als der Blick der Sekretärin Traudl Junge, auf den sich Eichinger beruft.

Der Historiker Hans-Ulrich Wehler hat in diesem Zusammenhang einmal von "Hitler-Monomanie" geschrieben, zu der sich eine aufgeklärte Geschichtswissenschaft nicht verführen lassen sollte.

Der Untergang fällt nicht zufällig in eine Zeit, in der die Universitäten beginnen, ihre Geisteswissenschaften zu demontieren und damit auch all jene soziologischen Seminare, in denen "die Achtundsechziger" ihre Ausbildung erhielten. Die meisten positiven Kritiken des Films sind denn auch antiintellektuell grundiert und feiern einen Darstellungsrealismus, der trotz des großen Budgets seltsam nach Low Budget aussieht.

Bruno Ganz vertritt in dieser ideologisierten Auseinandersetzung eine Vernunft, die nicht instrumentell ist, sondern gut humanistisch. Er glaubt, an Adolf Hitler noch etwas zu finden, was ihn verständlicher macht. Aber der "Führer" im Untergang erweist sich als Block, an dem Ganz nur herumhantieren kann. Er bleibt notwendig an der Oberfläche. Die Kontroverse um den Film aber reicht tief - in die Verwerfungen eines Landes, in dem sich die gesellschaftlichen Fraktionen für eine konservative Hegemonie allmählich finden. (DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.9.2004)