Es gibt Gründe genug, sich nicht mit einem Austrokoffer auf die unsichere Reise zu den österreichischen Lesern zu begeben. Schon der Name! Und die mediale Schutzmacht! Der kulturelle Großmachtdünkel! Die halbamtliche Inszenierung - ist sie nicht ein Versuch der schwarz-blauen Regierung, sich nach den politischen Pfründen auch noch die Literatur unter den Nagel zu reißen? Kurz, das ganze Projekt war wie aufgelegt dafür, dass sich an ihm aufs Neue die österreichische Verträglichkeit von Protest und Marketing erweise.

Und so kam es auch. Als die ersten medienwirksamen Absagen veröffentlicht waren, haben mich einige ratlose Kollegen angerufen. Sie kamen sich überrumpelt vor, denn wer wollte jetzt noch in einer Sammlung österreichischer Literatur vertreten sein, die von renommierten Kollegen als Werk der Regierung entlarvt worden war?

Allenthalben war bei ihnen die Skepsis gegenüber dem Projekt jedoch keineswegs größer als jene gegenüber dem Protest. Aber in der Mediengesellschaft bekommen die Dinge eine Dynamik, der man sich nur schwer entziehen kann, und nach und nach wurde die Liste derer, die ihre Texte nicht in diesem Austrokoffer verpackt sehen wollten, immer länger; was unausweichlich dazu führte, dass sie anderntags noch länger geworden war. Lieber sich einem Protest anschließen, von dem man so viel wieder auch nicht hält, als sich dem Verdacht aussetzen, ein verkappter Parteigänger der Regierung, ein Opportunist oder Wendehals zu sein.

Aus dieser unerquicklichen Situation bietet das "Austromanifest" (vgl. STANDARD 16. 9.) von Kerschbaumer, Schutting, Schindel einen Weg. Namentlich der dritte Absatz ihres Briefes an die KollegInnen bringt die Sache, über die schon so viel Halbwahres und Halbwitziges geschrieben wurde, auf den Punkt: "Was immer unser Schicksal war oder sein wird, es ist verbunden mit diesem Land Österreich (...) 60 Jahre Befreiung, 50 Jahre Staatsvertrag, wer möchte das entbehren?" Finde ich auch; um bei dem so veränderten Projekt mitzumachen, ist es weder notwendig, den Herausgeber Nenning zu lieben, noch mit allen im Austrokoffer publizierten AutorInnen gut Freund zu sein. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.9.2004)