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Helmut Kohl auf Wahlkampftour für die CDU

Foto: Reuters/Schwarz
Strausberg/Berlin - Es ist wie früher: Durch seine Größe und Fülle dominiert Altbundeskanzler Helmut Kohl die Bühne und macht die neben ihm Sitzenden zu Randfiguren. Kohl ist als Wahlkämpfer für den Brandenburger CDU-Spitzenkandidaten Jörg Schönbohm nach Strausberg in den "Klub am See" geladen. Kohl nutzt diesen Auftritt vor vierhundert Geladenen aber vor allem, um zum Jahrestag der Öffnung des Eisernen Vorhangs persönlich Bilanz zur Wiedervereinigung zu ziehen.

Die Öffnung der Grenzen vor 15 Jahren in Ungarn seien ein Beweis gewesen, "dass es auch im kommunistischen Lager Männer mit großer Weitsicht" gegeben habe, meint der Altkanzler schmunzelnd.

"Ganz blöd waren wir nicht, ich auch nicht. Wenn Sie ganz blöd sind, können Sie sich nicht 16 Jahre in dem Amt halten. Und eine gewisse Grundausstattung brauchen Sie auch, um 25 Jahre Vorsitzender der CDU zu sein und das in Bettgemeinschaft mit Franz Joseph Strauß. Das ist kein Lustgewinn."

Kohl löst damit Lachsalven zwar aus, bleibt selbst aber ernst. "Ich sage nicht, die einen haben immer alles gut, die anderen schlecht gemacht. Ich habe auch Fehler gemacht." Dann nimmt er hier im ehemaligen DDR-Offizierskasino auf sich, dass den Reservisten der DDR-Armee Anerkennung versagt blieb. Als Fehleinschätzung habe sich auch seine Annahme erwiesen, dass die DDR-Betriebe in einer Übergangszeit von vier bis fünf Jahren weiter in die Sowjetunion liefern könnten.

Ein Raunen geht durch den Saal, als Kohl in bisher unbekannter Offenheit bekennt: "Wahr ist, dass wir größere Schwierigkeiten haben, als wir erwartet haben. In einigen Teilen will ich sie ausdrücklich auf mich beziehen." Die Schwierigkeiten seien "nicht über Nacht gekommen. Viele haben ihren Ursprung in der alten Bundesrepublik". Denn hier seien die Sozialsysteme nicht reformiert, "zu wenig Kinder gezeugt" worden.

Kohl, der Vertreter der Bonner Bundesrepublik, stellt sich auf die Seite der Ostdeutschen, schimpft auf "Eindrücke am Rhein", dass die Westdeutschen nur für die Ostdeutschen "zahlen, zahlen, zahlen" und der Osten Schuld an der wirtschaftlichen Misere Deutschlands sei. Die westdeutsche Industrie sei viel mehr für die ostdeutschen Wirtschaftsprobleme mitverantwortlich. "Es gab auch im Westen in führenden Industriepositionen Leute, die kein Interesse daran hatten, dass sich die Betriebe in der DDR entwickeln." So habe er Frankreichs Präsident Fran¸cois Mitterrand "beknien" müssen, dass der französische Konzern Elf Aquitaine im ostdeutschen Chemiedreieck investiere, weil sich deutsche Unternehmen weigerten.

Nach einer Stunde scheint er sich daran zu erinnern, dass er hier in Strausberg, wo die Postkommunisten zuletzt 42 Prozent erreicht hat, als Wahlkämpfer für die CDU engagiert worden ist, die laut Umfragen bei der Landtagswahl in Brandenburg am Sonntag aber nur den dritten Platz belegen dürfte: Er leistet sich einen Seitenhieb gegen Oskar Lafontaine: Es gebe "Menschen bei der SPD, die gegen die Wiedervereinigung waren, und heute ihren Mund weit aufreißen". Und die PDS und die Rechtsradikalen hätten aus der Geschichte nichts dazugelernt.

Als Kohl von der Bühne geht, branden vereinzelt "Helmut, Helmut!"-Rufe auf - wie damals in der Wendezeit bei Kohls Auftritten in der DDR. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.9.2004)