Berlin - Als Reaktion auf die durch die jüngste OECD-Studie aufgedeckten Mängel im deutschen Bildungswesen fordern deutsche Politiker eine grundlegende Reform des Schulsystems. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel verlangte mehr Investitionen ins deutsche Bildungssystem und den Ausbau der Ganztagsschulen. "Wir müssen endlich wieder investieren in das Bildungssystem", sagte Merkel am Mittwoch im RBB-Inforadio.

Fehler im System

Insgesamt gelte in Deutschland: "Zu große Klassen, zu wenig Fokus auf die Grundschulen." Außerdem gebe es "zu wenig Schulstunden", so Merkel. Deshalb müsse die Ganztagsschule ausgebaut werden. Dazu gehöre auch die Versorgung mit Mittagessen.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Krista Sager, forderte die Bundesländer auf, den Abbau von Studienplätzen an den Hochschulen "unverzüglich zu stoppen". Nicht nur die jüngste OECD-Studie sondern auch viele andere Prognosen belegten, dass Deutschland dringend mehr Maturanten und Studenten brauche, sagte Sager in einem Gespräch mit der Deutschen Presse- Agentur (dpa).

"Wir sind auf Bundesebene froh, dass sich nach der Bafög-Reform (Ausbildungsförderung für Studenten, Anm.) wieder mehr junge Menschen für ein Studium entscheiden", sagte Sager. Wenn aber die Länder jetzt die dafür erforderlichen Studienplätze abbauten, so sei dies "eine absurde Politik".

Gesamtschule

Statt der Aufteilung auf Gymnasium, Realschule und Hauptschule sollten ihrer Auffassung nach alle Kinder mindestens bis zur neunten Klasse gemeinsam in die Schule gehen. "Wir wollen zu einem Schulsystem kommen, wo die Kinder neun bis zehn Jahre zusammenbleiben, aber in diesem Rahmen stärker individuell gefördert werden", sagte Sager der "Berliner Zeitung" (Mittwochausgabe). Zunächst die Pisa- und jetzt auch die OECD-Studie hätten gezeigt, dass Schüler so besser lernen würden als im dreigliedrigen deutschen Schulsystem.

Auch in der SPD werden Forderungen nach dem Modell "Schule für alle" laut. Neben den Jusos und ostdeutschen Bildungspolitikern hat sich die schleswig-holsteinische SPD dafür ausgesprochen. Die Kultusministerin des Landes, Ute Erdsiek-Rave (SPD), sagte der Zeitung, die rot-grüne Landesregierung werde mit diesem Thema in den Landtagswahlkampf im Februar 2005 ziehen.

Der Thüringer SPD-Chef Christoph Matschie sprach sich ebenfalls für eine neue Weichenstellung in der Bildungspolitik aus. "Das dreigliedrige Schulsystem passt eher zu einer mittelalterlichen Ständeordnung als zu einer modernen Gesellschaft", sagte er. Das Modell "Schule für alle" sei wesentlich erfolgreicher als das System der frühen Aussortierung von Kindern. Der frühere Staatssekretär im deutschen Bildungsministerium beruft sich dabei nicht nur auf die skandinavischen Schulmodelle, sondern auch auf die Erfahrungen aus der DDR-Zeit.

Auch Experten meldeten sich zu dem Thema zu Wort. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte die deutschen Bundesländer auf, in der Schulpolitik "endlich ihre Hausaufgaben zu machen". Der neue OECD-Bildungsreport belege eindeutig, "dass die deutschen Schulen nicht nur mehr Geld brauchen, sondern auch grundlegende Reformen", sagte die Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft, Eva-Maria Stange, in einem Gespräch mit der dpa.

Der Präsident der Leibniz-Wissenschaftsgemeinschaft, Hans-Olaf Henkel, verlangte ebenfalls "beim Thema Schule (...) mehr Föderalismus". Das Koordinationsgremium der Länder, die Kultusministerkonferenz, solle in diesem Bereich "nichts mehr zu sagen haben", sagte Henkel am Mittwoch im Deutschlandfunk. "Wir müssen keinen bundeseinheitlichen Einheitsbrei machen, wir müssen den Schulen und den Ländern viel mehr Freiheit geben."

In der aktuellen Bildungsstudie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat Deutschland erneut schlecht abgeschnitten. Der zuständige Koordinator kritisierte fehlende Investitionen in den Ländern, verkrustete Schulstrukturen, zu große Klassen und zu wenig Unterricht. (APA/dpa)