Vergangene Woche machte eine Agenturmeldung Karriere - sprich: fast alle heimischen Tageszeitungen gaben sie wieder. Ihr Inhalt: Die auf einem Wissenschaftskongress in Stockholm vergangene Woche veröffentlichte US-Forscher-Studie, derzufolge skrupellose Irre die Chefetagen eroberten.

STANDARD: In US-Firmen sollen laut erwähnter Studie unter 100 Angestellten rund acht Psychopathen - alle in gehobenen Positionen - am Werk sein. Wie krank muss man sein, um es auf der Karriereleiter bis nach ganz oben zu bringen?

Perner: Psychopathen sind seelisch Leidende. Immer liegen unbewältigte Verletzungen hinter den Verhaltensmustern. Die Bandbreite reicht vom Schweigsamen bis zum Aggressiven, der psychisch Gesunde bewegt sich in der Mitte. Grundsätzlich halten Unternehmen bei der Besetzung von Toppositionen nicht nach Psychopathen, sondern - ganz im Gegenteil - nach Persönlichkeiten mit humanistischen Werten Ausschau.

STANDARD: Laut dem US-Psychologen Paul Babiak "werden Psychopathen oft ganz bewusst eingestellt - bedarf die heutige Geschäftswelt doch oft gewissenloser Chefs, die vor harten, schnellen Entscheidungen nicht zurückschrecken".

Perner: Die Unternehmenskulturen in den USA und in Europa unterscheiden sich stark, und auch innerhalb Europas variieren sie. Während über dem großen Teich eher der einsame Held gefeiert wird, haben bei uns humanistische Werte Platz. Wir befinden uns in einer Zeit des dramatischen Umbruchs, schmerzliche Einschnitte bereiten den Topführungskräften, zumindest jenen, die ich coache, durchwegs Probleme.

STANDARD: Suizidfälle in Folge schlechten Gewissens von Topmanagern, die Belegschaften dezimieren mussten, gibt es kaum . . . Für gekündigte Mitarbeiter beginnt hingegen nach dem blauen Brief meist das Bangen um die nackte Existenz . . .

Perner: Belegschaften zu reduzieren genießt vielfach Priorität. Eine Entwicklung, die sich in Zukunft nur mehr mildern, aber nicht mehr ganz eliminieren lassen wird. Einsparungsziele umzusetzen ist an sich nicht unethisch. Was verletzt, ist immer die Form. Chefs mit ethischen Ansprüchen suchen das Gespräch mit den Mitarbeitern und stellen die Sachlage dar. Natürlich gibt es auch Sadisten, denen es geradezu Wohlgefühl bereitet, Menschen zu demütigen, zu verletzen. Manche genießen es, auf Kampf zu spielen. Das sind die Wirtschaftskiller!

STANDARD: Sie erscheinen oft getarnt als verständnisvolle Pragmatiker und sprechen mit Engelszunge vernichtende Urteile. Wie erkennt man sie, wie geht man mit dieser Spezies Chef um?

Perner: Die meisten Wölfe kommen im Schafspelz daher. Es gilt, das Bauchgefühl zu aktivieren, sich nicht durch die Schauspielkunst und das perfekt trainierte Gehabe des Vorgesetzten täuschen zu lassen. Die deklarierten Sadisten sind leichter zu handhaben. Wer Mobbing ausgesetzt wird, sollte sich sofort mit einem Coach, dem Betriebsrat oder der Gewerkschaft in Verbindung setzen und sich genauestens über seine Rechte informieren. Ist der Konflikt unlösbar, sollten Betroffene mit einem Gegenoffert kommen. Die eigene Gesundheit ist wichtiger, als dem Chef den Triumph nehmen zu wollen.

STANDARD: Sie empfehlen also unliebsam gewordenen Arbeitnehmern, nicht über längere Zeiträume auf in einst unterzeichneten Verträgen erworbene Rechte zu pochen, sondern selbst den Routenplaner für den eigenen Rückzug zu präsentieren?

Perner: Viele Leute glauben, sie müssen alles durchstehen. Wer in unlösbaren Situationen auf die Aussitzen-Strategie setzt, ist ein Spiegelbild des Killers, ein Haifisch der anderen Art. Beiden Seiten geht es nur um Vernichtung.

STANDARD: Was lässt ursprünglich intakte Persönlichkeiten im Zuge ihrer Führungstätigkeit zu zynischen Sadisten mutieren, ist es der Shareholder-Value? Und wer ist die Claque, die der Ausübung seelischer Grausamkeit Beifall zollt?

Perner: Ich sehe vor allem zwei Faktoren, die bei ursprünglich nicht derart veranlagten Personen zu sozial schädlichem Verhalten führen. Erstens der völlig irrationale Leistungsdruck, zweitens der Mangel an Zeit für Selbstreflexion. Die Claque sind wir alle. Kaum jemand wagt es, gegen die Gewalttäter am Arbeitsplatz aufzutreten.

STANDARD: Ist der Psychopath in der Chefetage ein rein männliches Phänomen?

Perner: Im derzeitigen Umbruchprozess holen sich Unternehmen gerne den Mann fürs Grobe, der die Drecksarbeit macht und nicht umfällt. Rückgrat und Härte sind aber Eigenschaften, die bei Frauen eher als karrierehindernd eingestuft werden. (Der Standard, Printausgabe 11./12.9.2004)