Wien - Erste Ansätze eines Dialogs unter verfeindeten NachbarInnen versuchten Frauen aus der Türkei und aus Armenien am Wochenende im Wiener Kreisky-Forum voranzubringen. Vor allem wegen der Frage, ob das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg an 300.000 bis zu 1,5 Millionen ArmenierInnen einen "Genozid" begangen hat, oder ob diese - aus türkischer Sicht - bei "tragischen Kriegsereignissen" ums Leben kamen, bestehen zwischen der Türkei und Armenien bis heute keine diplomatischen Beziehungen, die Grenze ist abgeriegelt. (Im Osten Armeniens ist der Konflikt mit Aserbaidschan um die Enklave Berg-Karabach eine offene Wunde.)

Vorurteile überwinden

Sie selbst habe zu in ihrer Nachbarschaft lebenden ArmenierInnen immer gute Beziehung gehabt, sagte die türkische Psychologin Mügjan Suver dem STANDARD. Von einem "Völkermord" könne man schon deshalb nicht sprechen, weil sich der Konflikt vorwiegend im Osten und nicht auf dem gesamten Gebiet der heutigen Türkei abgespielt habe, meint die Leiterin der Menschenrechtsplattform in der einflussreichen Marmara-Stiftung. Seit drei Jahren nimmt Suver dennoch an Treffen mit armenischen Frauen teil, um auf "falsche Vorwürfe" zu reagieren und um Vorurteile zu überwinden. (Offiziell hat der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan erklärt, dass die Frage des Armenier-Genozids kein Kriterium für die Aufnahme in die EU sei.)

Unter den ArmenierInnen, die nach dem Ersten Weltkrieg in alle Welt zerstreut wurden - sechs von neun Millionen leben nun außerhalb ihres Staates, der bis 1991 Teil der Sowjetunion war - gibt es für diese Position kaum Verständnis. Dennoch hätten vor allem Jüngere "das Bedürfnis nach Normalisierung", sagt die armenische Menschenrechtsaktivistin Hranush Kharatyan, eine frühere Vizebürgermeisterin der Hauptstadt Eriwan. Gleichzeitig habe die Unabhängigkeit "neue Impulse" für armenische Anliegen gebracht. So sei es, auch über die weltweite Vernetzung im Internet, gelungen, von US-Versicherungen für noch in der Zeit des Osmanischen Reichs von ArmenierInnen abgeschlossene Verträge Entschädigungen zu erhalten.

Erfahrung

Nach Treffen in Istanbul und Eriwan setzten sich die zum Dialog bereiten Frauengruppen nun unter Mediation der Politologin und Diplomatin Sabine Kroissenbrunner in Wien zusammen. Das Kreisky-Forum hat, etwa mit Projekten von jungen Israelis und PalästinenserInnen, beim Zusammenbringen von bisherigen FeindInnen seit Jahren Erfahrung. Und ganz ähnlich tasten sich auch die InitiatorInnen des türkisch-armenischen Frauendialogs voran. Als nächstes wird der Austausch von Jugendgruppen mit je 15 Mädchen und Burschen aus beiden Ländern organisiert. (Erhard Stackl, D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 15.9. 2004)