Bild nicht mehr verfügbar.

Russlands Präsident Putin soll seine Pläne zur Umgestaltung der innenpolitischen Struktur bereits seit Monaten in der Schublade haben.

Foto: AP Photo/ITAR-TASS
Moskau - Mit seinen revolutionären Plänen zur Umgestaltung der innenpolitischen Struktur, die angeblich eine Reaktion auf das Geiseldrama von Beslan sind, dem Vernehmen nach aber schon seit Monaten in der Schublade lagen, behält der russische Präsident Wladimir Putin seinen restaurativen Kurs bei. Die Zentralisierung erreicht damit aber ein neues Niveau.

Künftig sollen, wie berichtet, die Gouverneure und Präsidenten der 89 föderalen Subjekte nicht mehr direkt gewählt, sondern vom Kremlchef vorgeschlagen und formal von der gesetzgebenden Versammlung abgesegnet werden. Auch sollen Abgeordnete des Parlaments (Duma) nur noch über das Verhältniswahlrecht bestimmt werden; Direktmandate für unabhängige Politiker fallen damit weg.

Sturm der Entrüstung

Der Sturm der Entrüstung im demokratisch gesinnten Bevölkerungsteil ist groß. Was Putin als Stärkung der Einheit des Landes verkauft, wird als Auflösung der föderalen Struktur zugunsten eines Unitarismus gedeutet.

Erstmals werden Vergleiche mit der Diktatur in Weißrussland (Belarus) gezogen. Der Exvorsitzende der liberalen "Union der Rechten Kräfte", Boris Nemzow, sieht die Richtung weg von der Zivilisation hin zur Dritten Welt eingeschlagen.

"Ich hätte das von Putin nicht erwartet", zeigt sich Michail Krasnow, einer der Autoren der Verfassung von 1993, entrüstet. Dass diese erstmals gebrochen wird, steht etwa für den freien Abgeordneten Wladimir Ryschkow und den einstigen Jelzin-Berater Georgi Satarow fest.

"Putin hat mit seiner starken Hand die Verfassung angegriffen", titelte auch die Zeitung Kommersant. Im ausgebrochenen juristischen Streit werden derzeit unterschiedliche Beschlüsse des Verfassungsgerichts bemüht. Es könnte in den nächsten Monaten auch ein Test für die Unabhängigkeit der obersten Verfassungshüter werden, sollte eine Anfrage in der linientreuen Duma überhaupt durchgesetzt werden.

Ist die Verfassungskonformität der angekündigten Maßnahmen umstritten, so zweifeln selbst Anhänger des Putin-Kurses stark an, ob sie irgendeinen Effekt bei der Terrorabwehr haben. Außerdem setze sich Putin selbst dem Risiko aus, künftig für jeglichen Missstand in den Regionen direkt verantwortlich gemacht zu werden, wird eine Kremlquelle in der russischen Presse zitiert.

Die ohnehin große Entfremdung zwischen Volk und Politikern werde nun auch auf regionaler Ebene verstärkt, warnen viele Beobachter. Der Politologe Andrej Piontkowski ortet "einen deutlichen Schritt zum Zerfall des Landes". Ryschkow untermauert die Gefahr einer weiteren Entfremdung auch bei Dumawahlen mit Umfragewerten: Demnach genießen Direktmandatare rund sechs Mal mehr Ansehen als die Parteikandidaten. (DER STANDARD, Printausgabe, 15. 9. 2004)