Mehr schlafen, weniger lustig sein, die Straßenkarte lesen lernen: Archie Bronson Outfit fanden nach Wien.

Foto: Edel
Wien – Immer wieder gern gesehen: die Jugend der Welt auf Gastspielreise. Wer verreist, braucht sich um den Spott keine Sorgen zu machen. Der folgt hinterdrein wie die Sorgen der Mutter am Handy oder der Rausch wegen des jeweils letzten Bieres der Nacht.

Wenn man zum Beispiel in München nach dem Konzert am Sonntag abstürzt, den Schlagzeuger für Stunden wahlweise an eine hormonschäumende Tochter (optimistisch gesehen) oder an diverse promillesüchtige Söhne (realistisch gedeutet) der bayerischen Metropole verliert und auf der Straßenkarte den Abstand zwischen Hofbräu- und Schweizer Haus zart unterschätzt, kann es Montag am späteren Abend schon passieren, das man das Publikum im Wiener Chelsea knapp um zwei Stunden verfehlt. Dafür müssen wir einmal Soundcheck abziehen. Bitte, prost!

Erste Tournee-Erfahrungen im Ausland bringen auch erste herbe Erfahrungen: Es gibt Menschen, die trotz ihres Dranges nach loser Gesellschaft in losen Lokalen wie dem Chelsea am Gürtel nicht auf diese künstlerisch zumindest laut Eigeneinschätzung herausragenden Söhne Albions gewartet haben!

Dabei ist das in London beheimatete hühnerbrüstige Trio Archie Bronson Outfit gar nicht einmal das schlechteste, wenn es darum geht, Kapazitäten an überschüssiger Freizeit zu vergeuden. Die Firmenkollegen der ungleich schicker frisierten, international erfolgreich gegen frühere New-Wave-Zeiten vorrückenden Kunststudenten Franz Ferdinand aus Glasgow nehmen sich nicht nur den klassischen Bluesrock zumindest vom musikalischen Grundgerüst her als Vorbild. Was sie im gewissen Sinne zu einer retro-retroschicken Band macht, die damit die rückwärts gerichtete Avantgarde einer Jugend bildet, welche seit drei Jahren ihr Heil in schlecht verarbeiteten früheren Zeiten sucht.

Brustschwach im Sinne von Led Zeppelin sowohl von der Gitarre als auch der Stimme her wird hier live wie auch auf dem Debütalbum Fur (Vertrieb: Edel) durchaus charmant auf jeden Fall auch Neues verhandelt: "The wheels roll on and the past is gone."

PJ Harvey, die Bluespunk- Zicke aus Südengland, dient ebenso als Referenzname wie der wahnsinnige New Yorker Leptosome Jon Spencer mit seiner Blues Explosion: Aufgeforschte Blues-Elogen vom ewigen Leid schlecht ausgebildeter und noch schlechter versorgter Männer mit parodontosen Zähnen und Biografien, komprimiert auf ein knüppelhartes Drei-Strophen- Schema mit verzerrter Gitarre, greinendem Gesang, lallendem Bass und randalierendem Schlagzeug.

Songs schreiben können Archie Bronson Outfit nicht wirklich. Aber das braucht an einem solchen Abend sowieso keiner. Für immer letzte Runde, aber schnell! (schach/DER STANDARD, Printausgabe, 15.9.2004)