STANDARD: Ihrer Flow-Theorie zufolge ist der Mensch glücklich, wenn er von einer Tätigkeit so vereinnahmt wird, dass er sein Ego vergisst. Wirken die Botenstoffe im Hirn beim Klettern und beim Beten gleich?

Csikszentmihalyi: Niemand weiß es genau. Auch ist nicht klar, an welchem Punkt der Botenstoff-Freigabe ein Glücksgefühl entsteht. Neurologische Tests geben Grund zu der Annahme, dass die Neurotransmitter immer das Gleiche machen. Beim Klettern geht es darum, Kraft zu konzentrieren, beim Beten darum, Gefühle mit Glauben zu verbinden. Das dabei empfundene Gefühl der Einigkeit ist das gleiche, es ist nur eine Frage, wie wir es interpretieren. Glücklich ist man jedenfalls nicht nur körperlich, weil bestimmte Chemikalien bestimmen, welche Neurotransmitter sich auf den Weg machen.

STANDARD: Was ist der Unterschied zwischen dem Glücksgefühl, das man sich selbst schmiedet, und jenem, das von außen verursacht wird?

Csikszentmihalyi: Von außen kommendes Glück ist flüchtiger. Um ein Geschenk als glücksbringend zu empfinden, muss man ihm Bedeutung beimessen können. Die Schweizer etwa lernten ihre Berge erst schätzen, als Briten aus Manchester in ihnen Erholung vom Umfeld der Industrierevolution suchten und sie am Tourismus verdienten.

STANDARD: Warum sind manche Menschen "Grantler", andere von sonnigerem Gemüt?

Csikszentmihalyi: Das ist zu mindestens 50 Prozent genetisch bedingt. Eineiige Zwillinge, die in unterschiedlichen Familien aufwuchsen, bleiben sich in dieser Hinsicht ähnlich. Manche Menschen können leichter einen Bezug zu Informationen aus der Außenwelt herstellen, andere reagieren von Natur aus defensiv, wobei die genetische Basis durch die Kindheit verstärkt oder abgeschwächt wird.

STANDARD: Ist Glücksempfinden der Sinn des Lebens oder die Motivation?

Csikszentmihalyi: Sigmund Freuds Fehler war, zu glauben, dass die Evolution Glücksempfinden nur bei der Fortpflanzung auf Lager hat. Denn glücklich sein zu wollen ist eine grundlegende Motivation. Viele überlebenswichtige Dinge, wie Sex, Essen und Trinken, haben wir gelernt zu genießen. Aber auch Konstruktivität, Ästhetik und Kreativität machen glücklich. Man muss sich in einer Tätigkeit verlieren können, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wenn Sie eine gute Geschichte schreiben, sind Sie nachher glücklich. Während des Schreibens aber denken Sie nur an die Geschichte – ein Glücksgefühl würde Sie ablenken. Das Glück, das Sie danach empfinden, motiviert Sie, eine Tätigkeit, die Sie mögen, weiterhin auszuüben. (Eva Stanzl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14. 9. 2004)