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Foto: APA/Jäger

Das Wetter war schön an jenem Junitag im Jahr 1989, Franz Vranitzky Bundeskanzler und Kurt Waldheim immer noch unser Präsident. Ungarns Außenminister Gyula Horn beendete gerade seinen Besuch in Österreich. Und DER STANDARD war schon neun Monate alt.

Rund um uns hatten weltverändernde Entwicklungen ihren Lauf genommen: Die Menschen im Osten hatten genug von ihren Regimes, der Eiserne Vorhang wurde durchlässig. Als Österreicher freute man sich über den Wert des Schillings bei den Nachbarn, wechselte schwarz und gewöhnte sich an den langsamen Autoritätsverlust der Kommunisten. Man ahnte zwar bevorstehende, tief greifende Veränderungen jenseits der teilweise noch verminten Grenzen, hatte jedoch keine Vorstellung, wohin diese Veränderungen führen würden.

Ungarn, als fidele Baracke des Gulaschkommunismus bekannt, war schon weit mit seinem Umbau, neue Gesichter tauchten in der Regierung auf, weit gehende Reisefreiheit wurde den Ungarn gewährt. Außenminister Horn hatte sich in Österreich überschwänglich für Unterstützung bedankt, jedoch stets wortreich erklärt, dass ein Austritt Ungarns aus dem Warschauer Pakt "völlig irreal" sei. Die Angst vor dem großen Bruder Sowjetunion, der damals seine Schwäche noch einigermaßen kaschieren konnte, war greifbar.

Einen "historischen Akt" ankündigend begleitete Außenminister Alois Mock seinen Amtskollegen Horn also heim, hin zur Grenze nach Klingenbach. Dort wurden in einer Waldschneise mit Blick auf den Steinbruch im burgenländischen St. Margareten bereitgelegte Arbeitshandschuhe angelegt, beide Minister griffen sich je einen kleinen Bolzenschneider, um ein "Fenster der Zukunft", ein Loch, in den Eisernen Vorhang zu schneiden. Mock war tief gerührt, herzte Horn und sprach mit dem Bolzenschneider in der Hand vom "schönsten Augenblick meiner diplomatischen Laufbahn".

Alois Mock hatte Glück: Sein "schönster Augenblick" wiederholte sich am 16. Dezember im niederösterreichischen Kleinhaugsdorf. Die örtliche Blasmusikkapelle war geschlossen angetreten, als der damalige CSSR-Außenminister Jirí Dienstbier nach der "Samtenen Revolution" zu Fuß über die Grenze schritt, um Mock unter Jubel der Bevölkerung die Hand zu schütteln.

Der kräftige Dienstbier, der sich in der KP-Zeit als Heizer durchschlagen musste, feierte dort auch ein Wiedersehen mit seiner Tochter Monika, die wartend in der Weinviertler Kälte zitterte. Monika studierte seit 1984 in Wien, in der CSSR hatte sie das nicht gedurft. Gemeinsam fuhren alle nach Laa an der Thaya, da dort versteckt im Wald noch Reste des Eisernen Vorhangs standen. Weite Teile des Zauns waren nach dem Fall der Berliner Mauer schon abgebaut worden, irgendwie hatte man sich an die turbulenten Zeiten gewöhnt.

Mock hatte trotz seiner Übung im Zaundurchschneiden kleinere Probleme: Der Bolzenschneider war dem Euratsfelder diesmal eindeutig zu schwer. Dienstbier hingegen, die Freude an der Freiheit im Gesicht und gestählt vom Kohlenschaufeln als Heizer, schnappte sich das Werkzeug und zerlegte den Stacheldraht in handliche Teile. Er wollte gar nicht mehr aufhören und nahm sich sogar Zeit, für Journalisten Drahtstücke in passender Größe abzuschneiden. Unsere halbe Redaktion konnte dank Dienstbier mit Souvenirs versorgt werden.

Als Dienstbier später im Rathaus von Laa auch noch die Aufhebung des Visumzwangs verkündete, war die Freude groß. Wir zitierten eine alte Bäuerin: "Hiatzt werd's bold glei goa koa Grenz' mehr geb'n." Wenn es wirklich so weit ist, wird DER STANDARD darüber berichten. (Gerhard Plott/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11./12. 9. 2004)