Foto: Walter Moers
Fotos von ihm dürfen nicht publiziert werden: Stattdessen verschickt er an Redaktionen lieber Selbstporträts (siehe linke Spalte) . Und Interviews? "Bei Bedarf funktioniert das lediglich per E-Mail", sagt eine freundliche Dame in der Pressestelle. So dürfen sich Leser aller Altersklassen den deutschen Autor und Zeichner Walter Moers allein in der Form eines zunehmend wuchernden Gesamtwerks vorstellen.

Seine Comicserien Das kleine Arschloch oder, in der rechten Szene sehr verachtet, Adolf, die Nazisau sind mittlerweile Legende. Wirklichen Kultstatus bei Jung und Alt erlangte Moers aber mit seinen epischen Romanen aus dem sagenumwobenen Reich Zamonien: Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär, Ensel und Krete, Rumo oder Die Wunder im Dunkeln und jetzt, endlich: Die Stadt der träumenden Bücher, ein heiterer Tag- und Beinahe-Albtraum, in dem dichtende Dinosaurier auf tödliche Büchereischätze und gewiefte Buchlinge treffen. Jetzt also: E-Mail an Walter Moers ...

STANDARD: Für wen schreiben Sie eigentlich? Haben Sie da eher jüngere oder ältere Leser im Hinterkopf bzw. als Gegenüber?

Moers: Über ein lesendes Publikum denke ich beim Schreiben nicht nach, das würde mich völlig lähmen. Ich möchte die Inhalte meiner Bücher nicht davon abhängig machen, wie viel oder wie wenig man irgendeinem Leser zumuten kann. Wer anfängt, darüber nachzudenken, hat schon verloren.

STANDARD: "Käpt'n Blaubär" wurde zuerst als TV-Serie, eigentlich als "Kinderprogramm", vermarktet . . .

Moers: Ich hatte bei ihm von vornherein diese nostalgisch verklärte Vorstellung vom Fernseher, vor dem sich die ganze Familie versammelt. Und der epische Aspekt war eigentlich auch schon immer drin: Seemannsgarn als abendländische Variante von 1001 Nacht - Scheherazade goes Münchhausen.

STANDARD: Wie hat Zamonien begonnen: mit einer Landkarte oder einer Episode, von der aus sich dieser Kontinent erst erschlossen hat?

Moers: Die Landkarte kam erst später, irgendwann mitten in der Arbeit, als alles so auswuchs, dass ich mir selber eine Übersicht verschaffen musste. Die Idee zu Zamonien entstand wohl aus meinen Reisen durch die USA. Es ist eigentlich ein fantastisch überhöhtes Amerika.

STANDARD: Seit wann lassen Sie sich nicht mehr fotografieren?

Moers: Seit das mit dem Kleinen Arschloch losging. Mit dieser Art von Erfolg hatte ich nicht gerechnet, damals fing es an, dass mich Leute anhand meiner Fotos in den Büchern erkannten und ansprachen. Das fand ich nicht normal.

STANDARD: Welche Geschöpfe aus Zamonien kämen Ihnen seither am nächsten?

Moers: Äußerlich ähnele ich den "Unsichtbaren Leuten", ein wenig auch den "Unvorhandenen Winzlingen". Inwendig eindeutig dem dichtenden Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz.

STANDARD: Das heißt, Sie sind ein schüchterner Mensch mit Hang zu Selbststilisierungen? Ein deutscher Thomas Pynchon gar?

Moers: Ich fand eher Patrick Süßkind vorbildlich. Der hat gezeigt, dass eine künstlerische Existenz ohne den ganzen öffentlichen Affenzirkus möglich ist. Ich will ja auch nicht den Dr. Mabuse markieren, sondern nur privat meine Ruhe haben.

STANDARD: Mit "Die Stadt der träumenden Bücher" kippen Sie einmal mehr in ein Universum von Archiven, (behaupteten) Abenteuern und Visionen, die scheinbar zunehmend weniger von Ihren herrlichen Illustrationen als von der Sprache selbst angetrieben werden. Woher kommt das?

Moers: Für viele Dinge in meinen Büchern reichen meine illustratorischen Fähigkeiten nicht aus, das meiste sollte man auch der Fantasie der Leser überlassen. Beim Blaubär-Roman habe ich es im Rückblick mit den Illustrationen übertrieben, was mit meiner Unsicherheit als debütierender Schriftsteller zu tun hatte. Als Zeichner war ich akzeptiert, als Romanautor noch nicht. Von Buch zu Buch habe ich gelernt, mich da immer mehr zu beherrschen. Das Ziel, das ich noch zu erreichen hoffe, ist das völlig illustrationsfreie Buch.

STANDARD: Derzeit ergeben sich Teile der Erzählung noch aus Schrift-Bildern und Zeichnungen?

Moers: Ja, in einer frühen Phase der Arbeit sammele ich einfach Bilder, Skizzen, Figuren, Gegenstände und Landschaften. Die können dann in einem ganz anderen Buch oder Zusammenhang landen, als ich zuerst gedacht hatte.

STANDARD: Wann reduzierte sich die Lust an den Comics? Welche Comics lesen Sie selbst am liebsten?

Moers: Bei meinem reduzierten Zeichenstil in den Comics hatte ich irgendwann den Eindruck, mich ständig zu wiederholen. Für gewisse Gesichtsausdrücke hätte ich auch Stempel benutzen können. Außerdem habe ich das schrumpfende Interesse des Publikums am Erwachsenencomic bemerkt. Die Klassiker, die alle Krisen überdauern werden, sind etwa die Comics von Crumb, von Franquin und Barks. Die nehme ich immer wieder zur Hand, um ihnen das Geheimnis ihrer Unsterblichkeit zu entreißen. Ist mir bisher noch nicht gelungen.

STANDARD: Warum, denken Sie, wird "Fantasy" in Deutschland oft so abschätzig aufgenommen? Und warum ist Ihr eigener Zugang in gewissem Sinne auch ironisch?

Moers: Weil die meiste Fantasy nun mal leider großer Mist ist. Andererseits ist auch die meiste realistische Literatur großer Mist. Warum Letztere aber in der feuilletonistischen Wertschätzung so viel besser abschneidet, gehört zu den großen ungelösten Mysterien.

Ich kann grundsätzlich ohne Humor nicht arbeiten, manchmal ist mir das selber unangenehm. Aber es scheint so eine Art Trieb zu sein. Vielleicht sogar eine sexuelle Perversion. Pathos und Humor etwa sind eine Mischung, der ich nur schwer widerstehen kann. Einzeln ist beides oft unerträglich, aber im richtigen Verhältnis kann man tolle Wirkungen erzielen. Das Einzige, was ich an Büchern ärgerlich finde, ist, dass man keine Musik benutzen kann.

STANDARD: Alle Zamonien-Bücher sind in irgendeiner Form Bildungsromane: Vollziehen Sie dabei mitunter eigene Lebenserfahrungen nach?

Moers: Ich analysiere das nicht, das Ergebnis solcher Nachforschungen wäre wahrscheinlich deprimierend.

STANDARD: Wenn Sie im neuen Roman eine Stadt für Leser erfinden: Wie war Ihr Einstieg in die Bücherwelt?

Moers: Ich komme aus einer fast völlig bücherfreien Familie. Nachdem ich Lesen gelernt hatte, gab es bei uns zu Hause nur die Bibel und das Telefonbuch, die mir aber wenig Trost verschafften.

Die Schlaraffenland-ähnliche Buchwelt meines neuen Romans hat sicher mit diesen Entbehrungen meiner Kindheit zu tun. Sehen Sie, da haben wir sie bereits, die deprimierenden Erinnerungen!

STANDARD: "Die Stadt der träumenden Bücher" beginnt mit einer 30-seitigen Etüde über Schreibblockaden - und darüber, dass gute Bücher nicht unbedingt exzellenter Anfänge und Enden bedürfen. Wussten Sie selbst nicht: wie anfangen?

Moers: Ich schreibe bei meinen Romanen immer zunächst die erste und und die letzte Seite. Anschließend fülle ich den Raum dazwischen. Die Schreibblockade halte ich für einen Mythos, den faule Schriftsteller in die Welt gesetzt haben.

STANDARD: Am Ende des Buches starten Sie eine Leserumfrage, in welcher Richtung die Saga weitergehen soll. Haben Sie selbst eigentlich ein Konzept des "vollendeten" Zyklus?

Moers: Irgendwie habe ich mir anfangs fünf Bücher vorgestellt. Nachdem ich jetzt das vierte fertig habe, bliebe also nur noch eins. Der Gedanke gefällt mir nicht. Es gibt noch eine ganze Reihe von Ideen.

STANDARD: Wie viele Stunden "arbeiten" Sie am Tag?

Moers: Sehr hübsch: "arbeiten" in Anführungszeichen! Grundsätzlich "arbeite" ich am besten vormittags, ich bin das Gegenteil eines Nachtarbeiters. In der Tat fällt es mir selber schwer, Schreiben und Zeichnen als Arbeit zu betrachten, ich muss es aber mitunter tun, um die Glaubwürdigkeit bei Vertragsverhandlungen nicht zu verlieren.

STANDARD: Lesen Sie jemandem gerne aus Ihren Büchern vor? Dafür eignen sie sich nämlich hervorragend. Ein junger Leser übermittelt Ihnen übrigens folgende Frage: Wie fallen Ihnen Geschöpfe wie der fies-sympathische Stollentroll ein?

Moers: Nein, ich kann leider überhaupt nicht vorlesen, meine eigenen Sachen schon gar nicht. Der Stollentroll? Irgendwie musste ich bei ihm immer an die Monty Pythons denken, die oft komische Figuren dargestellt haben, die im nächsten Augenblick das Gegenteil von dem behaupten, was sie gerade gesagt haben. Das ist der Grundcharakter des Stollentrolls: kreative Unzuverlässigkeit. Was Monty Python ist, müssen Sie Ihrem Leser aber selbst erklären!

STANDARD: Letzte Frage an den Autor von "Adolf, die Nazisau": Was halten Sie vom neuen Hitler-Film "Der Untergang" bzw. dem Hype rundherum? Moers: Das ist erfreulich, denn ich arbeite gerade an einem neuen Adolf-Buch fürs nächste Frühjahr, und man sieht, dass das Thema immer noch auf heftigstes Interesse stößt. Ich finde meinen Führer aber komischer als Bruno Ganz. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8. 9. 2004)