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Ein Scharfschütze beobachtet die Schule, in der seit Mittwoch 354 Personen als Geiseln festgehalten werden

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Foto: REUTERS/Sergei Karpukhin
Moskau/Beslan - Im Geiseldrama im russischen Kaukasus haben die Terroristen am Donnerstagnachmittag insgesamt 26 Frauen und Kinder freigelassen. Das meldete die russische Nachrichtenagentur ITAR-TASS unter Berufung auf den Krisenstab. Kurz zuvor hatte der Krisenstab mitgeteilt, dass drei Frauen und deren Babys freigelassen wurden.

Granaten auf Autos geworfen

Minuten davor hatten die schwer bewaffneten Geiselnehmer nach Angaben des russischen Einsatzkommandos mit Granaten auf zwei Autos geschossen, die sich ihrer Ansicht nach zu sehr der Schule genähert hatten. Die beiden Explosionen hatten die Angehörigen in Angst und Schrecken versetzt.

Putin: Befreiung der Geiseln hat oberste Priorität

Am zweiten Tag des Geiseldramas in einer Schule in Nord-Ossetien hat die russische Regierung eine gewaltsame Befreiung der etwa 330 Schüler und Erwachsenen vorerst kategorisch ausgeschlossen. "Unser Hauptziel ist, das Leben und die Gesundheit derjenigen zu bewahren, die als Geiseln genommen wurden", sagte der russische Präsident Wladimir Putin am Donnerstag während einer im Fernsehen übertragenen Begegnung mit dem jordanischen König Abdullah II.

"Langwieriger und intensiver Verhandlungsprozess"

"Der Einsatz von Gewalt steht im Moment überhaupt nicht zur Debatte", sagte der örtliche Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, Walerij Andrejew, in Beslan vor Journalisten. "Es wird einen langwierigen und intensiven Verhandlungsprozess geben." Unbestätigten Berichten zufolge verlangen die Geiselnehmer die Freilassung tschetschenischer Rebellen, die seit Juni nach Angriffen in der benachbarten Republik Inguschetien in Haft sitzen.

Geiselnehmer lehnen auch Lieferung von Wasser und Nahrungsmitteln ab

Erste telefonische Verhandlungen waren in der Nacht gescheitert, nicht einmal die Lieferung von Wasser und Nahrungsmitteln für die Geiseln wollten die Terroristen akzeptieren. Das Angebot eines ungehinderten Abzugs lehnten die Geiselnehmer nach einem Bericht des Fernsehsenders NTV ebenfalls ab.

Mögliche Vermittler

Nach nächtlichen Telefonaten sollte der Moskauer Kinderarzt Leonid Roschal Angaben des FSB zufolge im Laufe des Tages auch direkten Kontakt mit den schwer bewaffneten Entführern aufnehmen und Verhandlungen führen. Er hatte schon bei der Geiselnahme in einem Moskauer Musical-Theater vor zwei Jahren vermittelt. Auch ein iranischer Journalist sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, der FSB habe ihn um einen Vermittlungsversuch gebeten. Die Angehörigen der zwischen sieben und 17 Jahre alten Schüler irrten voller Verzweiflung durch die Straßen in der Nähe der Schule und zuckten bei jedem Schuss, der zu hören war, zusammen.

Ungeklärte Explosion in Schulnähe

Am frühen Nachmittag gab es eine Explosion in der Nähe der Schule, und es stieg Rauch auf. Später stellte sich heraus, dass der Rauch von einem brennenden Auto stammte. Verletzte gab es keine. Warum das Fahrzeug in Flammen aufging, blieb zunächst unklar. Hinweise auf den Beginn einer Befreiungsaktion gab es nicht.

Im Kampf gegen die tschetschenischen Separatisten hat Putin bisher jede Verhandlung mit den Rebellen ausgeschlossen und eine Politik der harten Hand verfolgt. Die Vermittlungsbemühungen liefen am Vormittag auf Hochtouren. Der Innenminister der süd-russischen Teilrepublik Nord-Ossetien, Kasbek Dsantijew, sprach von bis zu 40 Tschetschenen und Inguschen, die die Kinder, Eltern und Lehrer in der verminten Turnhalle der Schule festhielten. Bisher hatten die Behörden von 17 Angreifern gesprochen.

Drohungen der Geiselnehmer

Die Geiselnehmer drohten offiziellen Angaben zufolge damit, für jeden getöteten oder verletzten Kämpfer Dutzende von Kindern umzubringen. Bisherige Geiselnahmen - wie im Oktober 2002 in dem Moskauer Musical-Theater oder in den Jahren 1996 und 1995 in süd-russischen Krankenhäusern - wurden von Seiten der Sicherheitskräfte mit Gewalt beendet. Hunderte von Menschen kamen dabei ums Leben.

2.000 Angehörige und Freunde harren vor der Schule aus

Während der Geiselnahme waren nach offiziellen Angaben zwölf Menschen getötet worden, in der Früh waren aus der Schule zudem mehrere Schüsse zu hören. Mehr als 1.000 Angehörige und Freunde harrten in der Nacht vor der Schule aus, im Laufe des Vormittags schwoll ihre Zahl auf 2.000 an. Das Gebäude wurde von Mitgliedern einer Spezialeinheit umstellt. Ermittler versuchten, Verwandte einiger bereits identifizierter Geiselnehmer aufzutreiben, damit sie Kontakt zu den Terroristen aufnähmen. Zudem hätten sich zwei arabische Fernsehsender als Vermittler angeboten.

Dritter Anschlag innerhalb einer Woche

Die Geiselnahme ist der dritte Anschlag in Russland innerhalb einer Woche, der tschetschenischen Rebellen zugeschrieben wird. Am Montag riss eine Selbstmordattentäterin an einer Moskauer U-Bahn-Station neun Menschen mit in den Tod. In der Vorwoche stürzten fast zeitgleich zwei Passagiermaschinen ab, an denen später Sprengstoffspuren gefunden wurden. Rund 90 Menschen starben. "Die Urheber der Terrorschläge wollen den Russen das Gefühl geben, dass die 'tschetschenische Hand' sie überall erreicht - im Bus, in der U-Bahn, im Flugzeug und auf einer belebten Straße, einfach überall", hieß es in der Tageszeitung "Kommersant".

Islambuli-Brigaden bekannten sich

Zu dem Überfall vom Mittwoch bekannte sich die islamistische Gruppe Islambuli-Brigaden. Diese hatte auch die Verantwortung für die Entführung zweier russischer Flugzeuge übernommen, die am Dienstag vor einer Woche mit 90 Insassen abgestürzt waren. Beobachter äußerten aber Zweifel an den Angaben der Gruppe. Ein Vertreter des tschetschenischen Rebellenführers Aslan Maschadow wies eine Verwicklung in die Geiselnahme zurück. Auf einer tschetschenischen Web-Site wurde auch die Vermutung zurückgewiesen, dass die Organisation des tschetschenischen Rebellen Schamil Bassajew für die Besetzung der Schule verantwortlich sein könnte.

UNO-Sicherheitsrat fordert Freilassung

Der UNO-Sicherheitsrat in New York verurteilte die Geiselnahme sowie den blutigen Selbstmordanschlag in Moskau vom Dienstag und die Terroranschläge auf die russischen Flugzeuge. Die deutsche Regierung forderte die "sofortige und bedingungslose Freilassung der Geiseln". Außenminister Joschka Fischer erklärte am Donnerstag in Berlin, es könne keinen Grund geben, der es rechtfertigen würde, Schulkinder als Geiseln zu nehmen und diese mit dem Tod zu bedrohen. US-Präsident George W. Bush rief Putin an und bot ihm Hilfe an, wie das russische Präsidialamt mitteilte. (APA/AP/Reuters)