"Wenn ich kein Patriot bin, dann ist George W. Bush aber auch keiner ..." - US-Sänger und Songwriter Steve Earle.

Foto: Lotus Records

Der 49-jährige US-Country-Rocker Steve Earle gilt seit seinem "John Walker’s Blues" aus 2002 als musikalisches Aushängeschild der US-Friedensbewegung. Mit Christian Schachinger sprach er über den Krieg im Irak und seine Unterstützung für John Kerry.


Wien/New York - Dieser Tage mit Steve Earle ein Interview zu bekommen ist alles andere als eine einfache Übung. Immerhin hält sich der Mann aus Tennessee derzeit nicht nur seit Wochen in New York auf, um dort Werbung für sein neues Album The Revolution Starts ... Now zu machen.

Nebenbei gestaltet er jetzt auch eine wöchentliche, in den ganzen USA gesendete Radioshow unter demselben Titel und unterstützt in dieser John Kerry. Earle nimmt gerade an den Protesten gegen den republikanischen Konvent in New York teil. Immer noch ist er als einer der führenden US-Aktivisten gegen die Todesstrafe unterwegs.


STANDARD: Auf Ihrem neuen Album weisen Sie mit Songs wie "Rich Man’s War" entschieden darauf hin, dass sich in den USA etwas ändern sollte. Glauben Sie an das "revolutionäre" Potenzial Ihrer Mitbürger?

Steve Earle: Ich würde sagen, dass wir kein Land voller ausgebeuteter Arbeiter sind, sondern eher eine Nation reicher Farmer, die keine Steuern zahlen wollen. Trotzdem halte ich unsere Verfassung für eine revolutionäre Leistung. Eigentlich möchte ich hauptsächlich, dass diese eingehalten wird. Und dass unsere Demokratie wieder etwas demokratischer wird.

STANDARD: In Ihrem Song "Fuck The CC" setzen Sie sich explizit mit dem nach 9/11 in den USA anscheinend gefährdeten Recht auf freie Meinungsäußerung auseinander. Gehen Sie dabei mit der Regierung Bush nicht zu hart ins Gericht?

Earle: Offensichtlich haben die meisten US-Bürger heute schon wieder vergessen, dass unsere Regierung jedwede kritische Stimme gegen ihre Politik nach dem 11. September als "unpatriotisch", ja gar als "Vaterlandsverrat" bezeichnet hat. Bush und seine Leute schaffen es, auch angesichts ständig neuer Terrordrohungen, die Leute konstant im Zustand der Angst vor äußeren und inneren Bedrohungen zu halten. Wer Angst hat, kann leicht unter Kontrolle gehalten werden. Wenn John Kerry unser nächster Präsident wird, kommt eine ganze Menge Arbeit auf ihn zu.

STANDARD: Jemand wie Michael Moore, dem Sie für die demnächst erscheinende DVD-Fassung von "Fahrenheit 9/11" einen Song zur Verfügung stellten, kann doch nicht behaupten, dass die freie Meinungsäußerung in Gefahr wäre.

Earle: Sie kann zwar aufgrund unserer Verfassung nicht unterbunden werden. Aber man versucht, Leute, die etwas gegen diese Regierung vorbringen, zu diskreditieren.

STANDARD: Könnte man diese Polarisierung nicht einfach auch als schlechte Praxis medienbestimmter Politik ansehen und nicht gleich als Zensurversuche? Michael Moore oder auch Sie in Ihrem recht derben Song "Condi, Condi", in dem George W. Bush US-Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice als Sexualobjekt anschmachtet, gehen schließlich auch nicht gerade subtil vor.

Earle: Unser Land war seit dem Vietnamkrieg nicht mehr so entzweit wie heute. Was ja auch okay ist, solange die demokratischen Spielregeln gewahrt werden. Ich persönlich pinkle gern Leuten, die ich nicht mag, ans Bein. Auch wenn ich dafür hart einstecken muss.

STANDARD: Gerade für Ihren "John Walker’s Blues", in dem Sie versuchen, die Motive des US-Taliban John Walker Lindh zu verstehen, mussten Sie 2002 Morddrohungen verkraften ...

Earle: Ich bin Countrysänger. My music is about people! Leute sind nicht immer nett. Und Sie dürfen mich keinesfalls für einen Pazifisten halten. Was wichtig ist: Meine Musik hat einen pädagogischen Ansatz, vor allem auch für mich selbst, ha ha! Ich lerne immer etwas von meinen Songs. Als John Walker Lindh mit seiner Geschichte in die Weltpresse kam, habe ich mich überhaupt das erste Mal in meinem Leben mit dem Islam zu beschäftigen begonnen. Ich war schockiert über meine Wissenslücken.

Und ja, ich bekam ziemlich heftige Breitseiten. Allerdings von einer Seite, aus der ich diese Kritik wegen "Vaterlandsverrat" erwartet habe. Hallo, jemand zu Hause?! Wenn ich kein Patriot bin, dann ist George W. Bush aber auch keiner. Schließlich ist er es, der sein Land an den Abgrund führt! Was mich mehr stört: Von linker und liberaler Seite hörte ich zu meiner Verteidigung vor allem eines, ich hörte gar nichts. Ich wurde schlichtweg totgeschwiegen. Das neue, erheblich härtere Album wird jetzt erstaunlicherweise von allen gelobt.

STANDARD: Sehen Sie, dass Ihr Engagement gegen die Todesstrafe etwas bewirkt?

Earle: Nach dem elften September hatte ich große Sorge, dass alles immer noch schlimmer wird. Aber unsere Arbeit scheint nach all den Jahren endlich etwas zu bewirken. Die Exekutionen gehen zurück. Bei dieser Debatte geht es schließlich nicht nur darum, was man anderen Menschen zufügt, sondern was wir uns selbst damit antun.

Und ich sage Ihnen eines: Würde es bei uns die Todesstrafe nicht geben, wäre die Hemmung, im Irak einen Krieg zu führen, wesentlich größer gewesen. Wenn man schon auf das Leben der eigenen Bürger keine Rücksicht nimmt, wie viel zählt dann das Leben eines Iraki?!

STANDARD: Aber niemand glaubt doch ernsthaft, dass bei einem demokratischen Präsidenten der Irak-Einsatz gestoppt werden würde.

Earle: Klar, wir können aus diesem Land auf absehbare Zeit gar nicht mehr raus. Es geht allerdings darum, dass wir nicht einzig wegen des Öls dort bleiben. Und Kerry wird das meiner Meinung nach klar machen. Was derzeit passiert, ist, dass wir im Irak wegen unserer Unfähigkeit unbeabsichtigt ein fundamentalistisches Regime installieren helfen. Was kein Wunder ist bei einem US-Präsidenten, der glaubt, mit seinem christlichen Fundamentalismus den islamistischen Fundamentalismus besiegen zu können.

STANDARD: Falls die Wahlen nicht wunschgemäß ausgehen, die Situation im Irak eskaliert und George W. Bush, wie einige Male im Wahlkampf laut befürchtet, eine Generalmobilmachung ausruft, würden Sie auswandern?

Earle : Mich als Ex-Junkie würde keine Armee dieser Welt haben wollen. Zwei Söhne von mir sind allerdings gerade Anfang 20. Sagen wir es so: Ich würde nicht davonlaufen, aber ein langsames Schritttempo wäre überlegenswert. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.9.2004)