Von einer "Lockerung" oder gar "Aufweichung" des Stabilitätspakts will Joaquín Almunia nicht reden. Im Gegenteil: Der EU-Währungskommissar nennt seine Vorschläge zur Reform des Stabilitätspakts einen Versuch, durch "wirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen" den umstrittenen Pakt zu retten. Habe sich doch die bisherige Auslegung des Pakts als wenig sinnvoll erwiesen: "Die Erfahrungen der letzten fünf Jahre haben gezeigt, dass die Regeln zu streng sind und den Spielraum reduzieren" – unter dieses Motto hat der Spanier die Reform gestellt.

Eckpfeiler bleiben

Getreu diesem Motto sollen die Eckpfeiler des Pakts bestehen bleiben: Die Defizitgrenze bei der Neuverschuldung von drei Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) und eine höchst zulässige Gesamtverschuldung von 60 Prozent des BNE. Zwischen diesen Eckpfeilern wollen die Brüsseler Defizitwächter aber künftig mehr Flexibilität zulassen. Diese betrifft einerseits die Strafverfahren: Konkret soll die Überschreitung der Defizitgrenze geduldet werden, wenn sich ein Staat in einer lang andauernden Phase der wirtschaftlichen Stagnation befindet. Davon würde etwa der bisherige chronische Defizitsünder Deutschland profitieren. Bisher war ein Überschreiten der Grenze nur in einer Rezession zulässig, welche die EU mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,75 Prozent definiert.

Die Flexibilität betrifft aber auch eine stärkere Berücksichtigung von nationalen Besonderheiten: So soll die Gesamtverschuldung und die nachhaltige Sicherung des Budgets miteinberechnet werden. Das bedeutet zum Beispiel, dass Brüssel neben der Defizitgrenze auch das Gesundheits- und das Pensionssystem eines Staates begutachtet. Das soll zu einer individuellen Beurteilung führen, nach der sich Mitgliedstaaten mit gesunder Finanzlage ein vorübergehendes Überschreiten des Defizits erlauben können – andere hingegen nicht.

Anreizsystem

Prinzipiell wird die Haushaltskontrolle erweitert: um "Verstöße gegen Grundzüge der Wirtschaftspolitik". Wer sich bei Pensions- oder Arbeitsmarktreformen zu viel Zeit lässt, soll gerügt werden. Auf der anderen Seite will Almunia ein Anreizsystem schaffen, um Staaten in guten Konjunkturzeiten zu Budgetüberschüssen zu animieren. Die Reformideen werden am Freitag dieser Woche in der EU-Kommission diskutiert, kommende Woche von den EU-Finanzministern. (Eva Linsinger aus Brüssel, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.9.2004)