Die Frage, die sich immer wieder stellt, und auf die diverse Benimm-Führer sicherlich eine Antwort wüssten (sich allerdings nicht in meiner Bibliothek befinden), lautet: Isst man die Salat-Garnitur mit oder erachtet man sie als rein schmückendes Beiwerk, nicht zum Verzehr gedacht, und lässt sie somit unberührt abservieren? Nun, das ist natürlich eine Sache der Interpretation, also konkret: Ab welcher Menge von Blättern ist ein Salat ein Salat, was konkret ist dazu notwendig, um ihn als wertigen Teil des Speisen-Arrangements akzeptieren zu können, ab wann hat er nur den Status einer dreidimensionalen Porzellanmalerei. „Wenn Marinade drauf ist“, sagen Menschen, die ich kenne und schätze, und hauen rein. Nur, so einfach ist auch das Marinade-Thema nicht, denn etwa 460 Jahre lang wurde in österreichischen Gastgewerbeschulen gelehrt, dass auf jedem Teller, und zwar egal, was dann da später für ein Essen draufgelegt wird, zuerst einmal ein Fetzerl hellgrünen Salates und ein Vertreter der Gattung „roter Wurli“ (auch „roter Burli“ genannt) zu liegen habe; letzterer ist nichts anderes als ein Streiferl eines roten oder rot gefärbten Paprikas, der mit preiswertester Industrie-Marinade vollgesoffen ist und somit quasi aus nichts anderem als aus Marinade besteht. Ist das Salatblatt jetzt aber ein echter Salat, nur weil der Wurli da draufgesaftelt hat? Ich würde sagen: Nein! Natürlich gibt es auch solche Leute unter den Wirten, die sich tatsächlich die Mühe machen, und neben das hübsche Stück Fleisch, den erlesen gebratenen Fisch, das auf den Punkt gegarte Geflügel ein kleines Arrangement frischer Salatblätter positionieren und diesen auch eine echte Marinade aus Öl, Essig, eventuell ein wenig Senf, Salz und Pfeffer angedeihen lassen. Wunderbar, man erbringt somit den Beweis, dass man die Grund-Idee von Salat begriffen hat. Aber warum dann dieses demütigende Spektakel am Tellerrand, warum nicht gleich ordentlich, in wahrnehmbarer Menge und in einem eigenen Gefäß? Ich glaube, das hat damit zu tun, dass man in Österreich eigentlich Angst vor Salat hat, also zumindest vor solchem, der aus grünen, frischen und pflanzlichen Blättern besteht. Man versucht dieser Angst zu begegnen, indem man Speisen „Salat“ nennt, sie aber aus klein geschnittenem Rindfleisch, gestiftelten Knackwürsten mit gestifteltem Emmentaler oder aus den Einzelteilen eines Backhendls herstellt – also aus Bestandteilen, die mit Salat im klassischen Sinne vergleichsweise wenig zu tun haben. Oder man behilft sich damit, „klassische“ Salat-Rezepte wie den wunderbaren „Ceasar’s“ mit ein paar Speckwürferln und Putenbruststreiferln aufzufrisieren. Und warum existiert diese Angst? Schwer zu sagen, wird wohl etwas mit schlechtem Gewissen zu tun haben, tote Tiere zu verspeisen, die man nie persönlich kennen lernte, und das in einem Ausmaß, von dem man weiß, dass es einem der ewigen Ruhe rasch näher bringt; ähnlich geartet wie die eigenartigen Aggressionen, die friedfertigen Vegetariern gegenüber ausgelebt werden ... Aber zurück zur Salat-Deko: Vielleicht wirkt das zarte Grün des Blatterls Häuptel (in letzter Zeit immer häufiger Lollo Rosso) irgendwie beruhigend, entspannend, de-eskalierend auf Gäste, und wir wissen es gar nicht. Vielleicht will man uns mit den Blatterln am Tellerrand ja auch nur seit Jahrzehnten auf ordentlichen Salat vorbereiten, blieb aber aufgrund eines Paradigmenwechsels in dieser Vorbereitungsphase stecken und vergaß das eigentliche Ziel der Übung. Irgendeinen Sinn muss dieses Blatt doch haben? Ich lasse es jedenfalls über, bis er sich mir erschlossen hat.