Salzburg - Ungeachtet aller grundsätzlichen (und leider berechtigten) Diskussionen um die Visionsarmut, um die operntheatralischen Tiefpunkte der Salzburger Festspiele, um konzertante Beliebigkeit vor allem bei den "Solisten", gibt es doch Gelegenheit, über das eine, heute sogar über ein anderes mit Genugtuung zu berichten, im Detail sogar zu schwärmen.

Oft gelobt für seinen Einsatz für die Musik unserer Zeit, bestätigte jüngst das Radio Symphonieorchester Wien, dass es sehr wohl auch Sinn und Aroma für Werke der älteren Bauart hat, auch wenn Werke von Strawinsky (Jeu de cartes), Strauss und Korngold dem Repertoire des 20. Jahrhunderts, also fast noch der neueren Musik zuzurechnen sind. Das Orchester hat unter der Führung von Bertrand de Billy an allgemeiner und detaillierter Philharmonie gewonnen. Strawinsky spielen diese Wiener mit Verve, mit der nötigen Poker-Miene, aber auch im Bewusstsein aller feinsinnig musikironischen Zu- und Umspielungen, wie sie Strawinsky in dieser kunterbunten Effektmusik auf dem imaginären Kartentisch ausgespielt hat.

In der Strauss-Abteilung mit den Vier letzten Liedern möchte man ein wenig mehr Geduld erwarten, aber mit der im Leisen wie leise Erregten sehr kundig atmenden Sopranistin Soile Isokoski entwickelte sich doch eine Aufführung, die sich sehend hören lassen konnte. Und nach der Pause Korngolds Fis-Dur-Sin- fonie (op. 40) im Rahmen der festiven Großinitiative für den verkannten Hochbegabten: Sie enthält eine Menge schöner, im besten Sinne film-, fast schon flimmmusikalischer Einfälle, aber sie kommt in vielen Teilen nicht recht vom Fleck, erweist sich als Spätgeborenes und letzten Ende Überholtes.

Einen Abend zuvor im Mozarteum handelte es sich nicht um lobenswerte Kornvergoldung, sondern um die zusätzliche veredelnde Kunst des An-sich-schon-Schönen (Schubert!), in manchen Momenten (Loewe!) auch des ästhetisch Problematischen. Hauptthema in Thomas Quasthoffs, von Justus Zeyen rege, ohne jede Sensation begleiteten Liederabends waren zu guten Teilen populäre Balladen von Loewe und ihrer Struktur nach balladeske, zum Teil ausgreifende "Themen" von Schubert (Der Zwerg). Dazu knapp Ausgewähltes von Hugo Wolf und Brahms' Ernste Gesänge (op. 121). Quasthoff singt nicht nur für "sein" Publikum, er singt um sein Leben!

Gebremste Kraft

Mit gebremster Kraft ist derzeit die Camerata Salzburg unterwegs. Nicht, was ihre eigenen, eigentümlichen Leistungen anbelangt wie jüngst unter der Leitung des griechischen Geigers Leonidas Kavakos (immerhin eine postexhumierte Uraufführung von anheimelnden Schönberg-Walzern!), aber vergebens sucht man in diesem Sommer nach ihrem Chefdirigenten Roger Norrington. Und auch im Winterabo leitet er nur ein (!) Konzert. Eine sonderbare Zusammenarbeit gleichsam auf Distanz zur eigenen "Familie".

Da spürt man zwischen Nikolaus Harnoncourt und den Wiener Philharmonikern schon ein Mehr an Nähe und Verbundenheit, wenn sie sich in ungeheurer, manchmal auch lähmender Fein- und Sezierarbeit den Werken des Jubilars Dvorák widmen. Die Biblischen Lieder (op. 99) mit Thomas Hampson bedeuteten im großen Salzburger Konzertleben eine echte (und ergreifende) Neuigkeit. Und zum Ende der diesjährigen Wiener philharmonischen Tätigkeiten Dvoráks Slawische Tänze op. 72! Wer hätte vor 20 oder 30 Jahren gedacht, dass man diese schönen, urwüchsigen und doch so feinsilbigen Stücke einmal mit diesem Orchester unter der Leitung des Concentus-Gründers Harnoncourt erleben würde? (Peter Cossé/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30. 8. 2004)