"Beide Länder sind gemacht, um sich zu verstehen", schreibt der Corriere della Sera über das Stelldichein Silvio Berlusconis bei Muammar Gaddafi. Und das hat in der Tat mit viel mehr zu tun als bloß mit dem drängenden Flüchtlingsproblem auf Lampedusa. Sicher, die jüngste Vereinbarungen zur Abwehr illegaler Einwanderung ist für Italien (und Europa im Übrigen) wichtig. Rom allerdings verfolgt bereits seit Jahren auch andere Interessen in Libyen durchaus energisch: 25 Prozent des italienischen Erdölbedarfs werden von dort importiert. Noch heuer wird eine knapp sechs Milliarden Euro teure Pipeline zwischen Sizilien und Libyen fertig, durch die in Zukunft 30 Prozent des italienischen Erdgasbedarfs fließen soll. Italien ist mit Abstand Libyens größter Handelspartner. Gaddafi andererseits hat über eine Finanzholding milliardenschwere Beteiligungen (darunter Fiat und Juventus Turin) in Italien. Damit ist es nahezu logisch, dass Rom auch Wegbereiter für die Rückkehr des "Schurkenstaates" in die internationale Gemeinschaft ist. Kurz nach der Suspendierung der UN-Sanktionen 1999 fuhr Außenminister Lamberto Dini als erster hochrangiger westlicher Politiker nach Tripolis. Ihm folgten Berlusconi und Tony Blair (nach dem Lockerbie-Schuldeinbekenntnis und Entschädigungszusagen). Im September - 35 Millionen Euro für die Opfer des Anschlags auf die Berliner Discothek La Belle machten es möglich - soll Bundeskanzler Gerhard Schröder der nächste Gast im Wüstenzelt Gaddafis sein. Und selbst die US- Ölfirmen wollen nach dessen Absage an Massenvernichtungswaffen ihre Explorationsrechte am Golf von Syrte wieder nutzen - der Ölausrüster Halliburton etwa tut dies wegen des weiter bestehenden US-Embargos über eine deutsche Tochterfirma. Für den Revolutionsführer hat die Öffnung zudem auch innenpolitische Vorteile: Im bald 36. Jahr seiner Regentschaft hält er damit auch die islamistische Opposition nieder. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.8.2004)