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Dass Rechtschreibreformen immer Kompromiss bleiben, wusste keiner so gut wie er. Bis Konrad Dudens erstes "Vollständiges orthographisches Wörterbuch" 1880 erscheinen konnte, war es ein langer Weg. Bis dessen sechste Auflage 1901 zur Grundlage der zweiten orthographischen Konferenz wurde und sich die Kultusminister des Deutschen Reiches auf eine einheitliche Rechtschreibung einigten, die auch Habsburg-Österreich und die Schweiz übernahmen, ein noch längerer.

Neuerer haben es schwer. Als der 1829 bei Wesel geborene Prorektor am Soester Gymnasium, Konrad Duden, 1872, ein Jahr nach Bismarcks Einigung des Deutschen Reichs, eine erste Schrift zur Vereinheitlichung der Sprachschreibung verfasste, stieß er, der für eine Orientierung an der gesprochenen Sprache plädierte, auf den erbitterten Widerstand von Verfechtern der historischen Schreibart, wie etwa Jakob Grimm.

Eine erste Rechtschreibkonferenz scheiterte 1876, nicht zuletzt am Zorn Bismarcks, der seinen Beamten bei Strafe verbot, der neuen Schreibweise zu folgen. Weshalb der erste "Duden", der 1880 im Verlag des Bibliographischen Instituts in Leipzig erschien, die preußischen Regeln zur Grundlage nahm. Duden merkte im Vorwort listig an, er hoffe "zur schnellen Verbreitung der amtlichen preußischen Orthographie etwas beizutragen". Nicht ohne hinzuzufügen, dass diese "nichts weniger als das Ideal des Verfassers" sei.

Aber: Lieber eine "minder gute Orthographie, der ganz Deutschland zustimme", als eine vorzüglichere, die am Widerstand scheitert. Konrad Duden war ein Mann der Praxis. Vor allem war er ein Pädagoge mit Erfahrung in verschiedensten Teilen Deutschlands. Schon der Student der Germanistik und Altphilologie hatte sich der revolutionären Bewegung von 1848 angeschlossen. Von 1848 an arbeitete er in Frankfurt am Main als Hauslehrer bei der hugenottischen Kaufmannsfamilie Souchay. Edouard Souchay war 1848/49 Abgeordneter im Paulskirchen-Parlament. In seinem Haus verkehrten die Freigeister der Zeit.

Später ging Duden für Jahre nach Genua, bevor er 1859 in das politisch noch nicht vorhandene Deutschland zurückkehrte und eine Stelle als Lehrer am Soester Gymnasium annahm. Wo er feststellte, dass die deutschsprachige Bevölkerung, mit Karl Kraus gesprochen, die gemeinsame Sprache trennte: Jedes Gymnasium, jeder Verlag, jede Dienststelle beschloss intern eine gewissermaßen intime "Hausorthographie". Ein Zustand also, der dem gegenwärtigen gar nicht fern ist.

Was den Neuerer Duden einst störte, die Uneinheitlichkeit der Schreibweise, ist vielleicht die Zukunft. Ein Verlust an Form und preußischer Strenge, der aber den Blick freigibt auf die Inhalte. (Cornelia Niedermeier/DER STANDARD, Printausgabe, 12.8.2004)