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Lindos

Foto: Archiv
Der Taxichauffeur in Istanbul ist vom Fahrziel restlos begeistert und wittert sofort fette Beute in Form _eines doppelten Fuhrlohns. Am feinen Kai nahe der Galata-Brücke gegenüber des Topkapi-Serails liegen die feinen Schiffe. Und eines der feinsten ist ohne Zweifel die „Sea Goddess I“: groß genug, um noch als Kreuzfahrtschiff verkauft zu werden, und klein genug, um dem Marketingmotto „Wie auf einer Privatyacht“ zu entsprechen.

Kapitän Sven Erik Pedersen ist Norweger, goldbetresst, weißuniformiert, sympathisch, braungebrannt, seebärig und vollbärtig. Er begrüßt seine Gäste am Kai wie langverlorene Freunde. Und das sollte sich täglich mehrmals wiederholen. Seine Crew, ebenfalls in dieses makellose Weiß gehüllt, macht das Tag für Tag und bei jeder sich bietenden Gelegenheit ebenso.

Dieses Marine-Weiß übrigens läßt vor Neid buchstäblich erblassen. Was immer in der Werbung erzählt wird, es ist das Weißeste aller vorstellbaren Weiß. Das Werk geheimnisvoller Chinesen, die sich tief im Schiffsbauch darum annehmen.

Kaviar vor Kusadasi Ephesos in der Hauptsaison ist kein Honiglecken: Touristenmassen zwischen alten Steinen, erbarmungslose Sonne auf kühn gekleideten Touristenkörpern, mehrsprachige Erläuterungen für ausgelaugte Touristenhirne. Ephesos in der Nacht ist ein Traum: schwarzblauer Himmel mit Tausenden glitzernden Sternen, ein großer voller Mond, lärmende Zikaden im Gestrüpp, das große Amphitheater mystisch erleuchtet. Die Steine beginnen zu erzählen. Kein Mensch zu sehen im weiten, antiken Rund, nur ein Wächter kommt vorbei mit seinen struppigen Hunden. Ihr Gekläff hallt wider in der großen Stille und bricht sich zwischen antiken Säulen.

Die Hauptstraße führt zur Bibliothek. Mildes Scheinwerferlicht vergrößert und pointiert jedes Detail, ein Kammerorchester spielt barocke Musik, junge, weißgekleidete Türken servieren Champagner. Früchte und Nüsse werden gereicht. Große Reedereien gönnen ihren Luxus-Passagieren solch elitäre Highlights als kleine Selbstverständlichkeiten.

Zurück an Bord um Mitternacht, begrüßt uns – ungebrochen weiß – die gutgelaunte, gutaussehende Phalanx mit Wiedersehensfreude, Erfrischungstüchern, neuerlich Champagner, Band und Buffet.

Charakterstudien an trägen Seetagen. Nordamerikaner sind recht unkompliziert, sie fügen sich mühelos ins Bordleben, essen manchmal sogar die kalorienreduzierten Menüs, frequentieren regelmäßig das Fitneßstudio und die Aerobicstunden, plaudern begeistert mit täglich wechselnden Tischpartnern und ertragen selbst langatmige, kulturelle Abschweifungen lokaler Reiseführerinnen fast widerspruchslos. Sie mucken, im Gegensatz zu den Europäern, nicht einmal auf, wenn man sie in die diversen kunsthandwerklichen Fabrikationen führt. Dafür verwöhnt sie der amerikanische Hotelchef Kevin aber auch mit Hamburgern und Hot-dogs zu jeder Tages- und Nachtzeit – zuzüglich zur reichlichen Gourmetverpflegung, versteht sich –, mit sehr viel Eis in den Drinks und eiskalt eingestellter Klimaanlage.

Südamerikaner sind da anders. Frühstück bis 11 Uhr bedeutet für sie tagtäglich eine fast unerfüllbare Herausforderung. Für kulturhistorische Ausführungen haben sie eine eher niedere Toleranzschwelle, die Frauen – von geradezu quälender Schönheit – erzählen von den Zuchterfolgen ihrer pferdenarrischen Ehegatten. Ohne sie wären die Black-Jack-Tische quasi verwaist, Spielverluste jenseits der 1000US$-Grenze sind ihnen selbstverständlich.

Lindos und Santorin haben viel Gemeinsames. Das rhodische Städtchen schmiegt sich weiß und hübsch an eine Felsenklippe, davor die Ägäis in Form einer besonders schönen Bucht, darüber thront eine Akropolis. 1,3 Millionen Gäste zählt Rhodos, und jeder einzelne von ihnen kommt auch nach Lindos. Mit dem Moped oder mit dem Bus. Das halten kleine griechische Orte schwer durch. Auf dem Hauptplatz unter dem großen alten Baum mögen vielleicht im späten Spätherbst oder im frühen Vorfrühling knorrige Griechen sitzen und die Lage der Welt besprechen. In der Saison – und die ist lang – reversieren hier die Busse, dröhnen die Mopeds und stinken die Jeeps.

Souper vor Santorin Die Straßen sind mit kleinen, geschliffenen, rutschigen Kieseln gepflastert und mit unzählbaren Souvenirläden. Und alle führen zur Akropolis, die derzeit eingerüstet ist. Viele griechische Akropolen sind derzeit eingerüstet – als Folge des Umweltgifts, des sauren Regens und der EU-Gelder.

Kreuzfahrtschiffe haben es schwer mit Santorin. Dort wo die Insel lavaschwarz Hunderte Meter ins Meer abfällt, ist auch dieses sehr tief und Ankerplatz rar. Wer zuerst kommt, ankert zuerst und rührt sich nicht mehr vom Fleck. Auch in der Kreuzfahrer-Hierarchie haben sich schon einige Raubritter eingeschlichen, sagt der Kapitän, und er wird wohl Recht haben. Dort wo die Insel flach ausläuft, ist das Wasser wieder zu seicht zum Ankern.

Touristen haben es auch nicht leicht mit Santorin. Die Insel ist so pittoresk, daß sie eine geradezu magische Anziehungskraft ausübt. Der etwas abenteuerliche Aufstieg mittels Mauleseln hinterläßt ein Odeur von Mist und Urin, das man den ganzen Tag nicht mehr aus Kleidern und Haaren bekommt, und die für Flachländer recht atemberaubende Seilbahnfahrt hat ebenfalls ihre Reize.

Einmal oben angelangt, führen schmale Wege auf verschiedenen Terrassen zu immer schöneren Aussichtspunkten. Es sollen auch Griechen hier wohnen, in unmittelbare Berührung gerät man während des Tages nur mit Verkäufern und Kellnern, die schon im Juli schwere Formen von Überarbeitungsstreß an den Tag legen. Wieder ein tiefer Seufzer: Wie schön wäre es, wenigstens den Sonnenuntergang hier miterleben zu können, aber der Zeitplan ruft, und das Schiff ist schon im Kommen.

Tee auf See

Teatime ist ein Fixpunkt im Tagesprogramm. Im kühlen Salon, fernab der aerobic- hüpfenden Aktivisten und der Black-Jack-spielenden Hasardeure zeigt der virtuose Pianist, was er am Konservatorium in Warschau gelernt hat. Die Kellner tragen weiße Uniformen und weiße Handschuhe und servieren lautlos Tee, Scones und Sandwiches. Damen blättern in Kunstbänden, Herren suchen den Videofilm fürs Nachtvergnügen aus. Man stimmt sich leise und dezent auf den Abend ein, draußen ziehen schon wieder ein paar griechische Inseln vorüber.

Die Abende sind jeder einzelne für sich ein kulinarisches und gesellschaftliches Ereignis erster Klasse. „Jacket and tie“ sind Pflicht-Adjustierung für Herren, manchmal auch Smoking. Die Damen sind immer schön, manchmal altersbedingt etwas kurzsichtig. Dann kommt der Kellner mit einer dezenten Holzkassette, in der sich eine Kollektion Lesebrillen befindet.

Die österreichisch dominierte Küchenbrigade wird den hohen Anforderungen mühelos gerecht. Die internationale Kellnerschar ist perfekt geschult, ihnen gelingt der schwierige Balanceakt zwischen dienstleistender Untergebenheit und freundlicher Annäherung spielend und spielerisch. Im Halbdunkel wird hohes Niveau zelebriert, es gibt keine Anbiederungen in Form von flammenden Eisbomben, keine bombastischen Inszenierungen à la Traumschiff. Understatement ist gefragt, gefordert und wird erfüllt. Der Kapitän und seine Offiziere verteilen ihre Zuwendungen nicht in Form von Einladungen an ihre Tische. Im Gegenteil, sie essen nie mit den Passagieren, es sei denn, sie werden von ihnen dazu aufgefordert. Was erstaunlich selten der Fall ist. Dadurch erspart man sich auch die peinlichen Händeschüttel-Orgien beim Kapitänsempfang, der große Norweger ist nämlich immer gesprächsbereit, die Brücke immer begehbar, denn so will es das Konzept: Es handelt sich hier um eine Art Privatyacht, und da kann man ja auch tun, was man will.

Imbiß vor Ithaka

Abgesehen von allem Luxus und aller Zuwendung an Bord, hat dieses Schiff, wie wenige andere, auch eine sportliche Variante. Denn normalerweise ist der Gast zwar tagelang auf dem, aber nie im Wasser.

Die Insel Ithaka hat keine besonderen antiken Reize, aber sie ist weitgehend unberührt, hat wunderschöne Buchten und kleine Fjorde und ein wunderbar ruhiges Meer. So bietet sie sich geradezu an, die Wassersport-Plattform auszufahren. Die Jungen und Junggebliebenen – davon gibt es eine ganze Menge – flitzen per Monoski übers Wasser, andere paddeln beschaulich im Plastikboot herum, andere wieder schwimmen ihre Runden, und über allen wacht der sportive Kapitän im Zodiac-Gummiboot. Ein starker Hauch von Ferien und Urlaub, Jux und Tollerei liegt über dem ganzen Ambiente. Damit es aber nicht gar zu sportlich-aktiv wird, servieren weißgekleidete Kellner, bis zum Bauch im Pool stehend, Champagner und Kaviar.

Es geht nichts über eine gewisse Dekadenz. (Der Standard, Printausgabe)