Genf - Nichtregierungsorganisationen haben am Sonntag das von der Welthandelsorganisation (WTO) verabschiedete Rahmenabkommen kritisiert. Die Verhandlungen seien zwar in letzter Minute gerettet, wichtige Entscheidungen jedoch vertagt worden, erklärte die Hilfsorganisation Oxfam. Mit dem Resultat der jüngsten Verhandlungen könnten die Regeln des Welthandels nicht reformiert werden, damit sie den Armen nützten, erklärte Celine Charveriat von Oxfam International. Nach dreijährigen Verhandlungen bleibe noch viel Arbeit, wenn die laufende Handelsrunde das gesetzte Ziel erreichen wolle, die Welt fairer zu machen.

Das Rahmenabkommen könne im Industriegüterbereich zur Zerstörung der Industrie in Entwicklungsländern führen, kritisierte Oxfam. Im Agrardossier seien zwar kleine Fortschritte für Entwicklungsländer in Form von deutlicheren Worten zu Agrar-Exprortsubventionen und Exportkrediten zu verzeichnen. Außerdem seien drei von vier neuen (Singapur-)Themen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden.

Attac: "Kein Fortschritt für Multilateralismus"

Die globalisierungskritische Organisation Attac Österreich ist von der Einigung "sehr enttäuscht". "Die WTO hat zu alter Form zurückgefunden: Die reichen Länder haben den Verhandlungsprozess strukturell dominiert, die wichtigsten Texte vorformuliert und die Entwicklungsländer mit Scheinzugeständnissen und taktischen Verhandlungstricks ins Boot gezerrt", so Christian Felber von Attac Österreich am Sonntag in einer Aussendung.

In Summe gebe es wenige Zugeständnisse für Entwicklungsländer, der Text laufe auf weitere massive Liberalisierung im Interesse der jeweils stärksten Industrien, auch im Agrar- und Dienstleistungsbereich hinaus. In Genf sei allerdings nur ein Rahmenabkommen erzielt worden, die entscheidenden Detailverhandlungen folgten erst, betonte Felber.

Auch Greenpeace erklärte, das Rahmenabkommen sei "kein Sieg für den Multilateralismus". Es sei eine Übung, um das Gesicht zu wahren. Nach einer Woche von exklusiven Verhandlungen hinter verschlossener Tür, sei das Abkommen das Resultat von massivem Druck der reichen gegen die armen Länder.

Ein Schritt in Richtung Multilateralismus wäre, dass die Regierungen klarstellten, dass die WTO multilaterale Umweltabkommen wie das Biosafety-Protokoll einhalten müsse. Die USA versuchten, es über die WTO-Mechanismen zu unterminieren und genetisch veränderte Organismen in der EU durchzusetzen. Die Nichtregierungsorganisationen (NGO) kritisierten außerdem das undemokratische Funktionieren der WTO, das vor allem den Interessen der reichen Länder diene. Vielen NGOs, darunter Greenpeace, sei der Zutritt zum WTO-Sitz verwehrt worden.

Clement: "Wichtig für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland"

Der deutsche Wirtschaftsminister Wolfgang Clement hat die Einigung der WTO-Mitglieder auf einen Verhandlungsrahmen für den Fortgang der Doha-Runde begrüßt. Clement lobte die in der Nacht zum Sonntag in Genf erzielte Vereinbarung als positives Signal für die weiteren Verhandlungen. Ein Erfolg der Doha-Runde sei damit wieder in greifbare Nähe gerückt. "Das ist wichtig für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland", erklärte Clement am Sonntag.

Der Erfolg stärke das multilaterale Handelssystem und den freien Welthandel, auf den Deutschland als exportorientiertes Land in besonderem Maße angewiesen sei. Die 147 WTO-Mitgliedstaaten hatten sich zuvor auf ein Rahmenabkommen verständigt, das unter anderem den Abbau der Agrarsubventionen vorsieht. Auch andere Subventionen und Importzölle - etwa auf Industrieprodukte und Dienstleistungen - sollen reduziert werden. Mit der Vereinbarung ist der Weg frei für weitere Verhandlungen im Rahmen der so genannten Doha-Runde.

Bartenstein: "Sehr positiv"

Österreichs Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (V) hat die bei den WTO-Gesprächen in Genf erzielte Einigung über ein Rahmenabkommen als "sehr positiv und wichtig" begrüßt. In einem Telefongespräch mit der APA erklärte Bartenstein am Sonntag, nach dem "Debakel von Cancun" sei nun der einjährige Stillstand bei den Welthandelsgesprächen überwunden.

Der Minister wies darauf hin, dass sowohl Entwicklungsländer als auch Industriestaaten eingesehen hätten, dass mit einer starren Haltung keine Fortschritte zu erreichen seien. Die Industrieländer seien "vernünftig auf die Interessen der Entwicklungsländer" eingegangen. Umgekehrt hätten die Entwicklungsländer begriffen, dass eine "Blockadehaltung nur ihnen selbst schadet".

Für die österreichischen Bauern erwartet sich Bartenstein keine großen Konsequenzen, zumal die bei den WTO-Gesprächen in Genf beschlossenen Punkte bereits in der EU-Agrarreform vorweg genommen seien. Die USA seien viel stärker von dem beschlossenen Abbau der Exportsubventionen für Agrarprodukte betroffen. Darüber hinaus gebe es einen Schutz für "sensible Produkte", wie etwa Milch oder Zucker. Jedes Land könne selber definieren, welche Erzeugnisse unter diese Kategorie fallen. Für die Industrie erwartet Bartenstein auf Grund von Zollsenkungen verbesserte Exportchancen, und zwar nicht nur in Entwicklungsländer, sonder auch in jene Industriestaaten, wie etwa Japan, mit denen kein Freihandelsabkommen besteht.

Auf Grund der bei den Genfer WTO-Gesprächen herrschenden "Stimmung und Dynamik" sieht Bartenstein Chancen für einen Erfolg der Ministerkonferenz im Dezember 2005 in Hongkong. Nach dem Scheitern von Seattle und Cancun hätten alle gelernt, so der Minister. Bartenstein fügte hinzu, dass der ursprünglich für Anfang 2005 geplante Abschluss der Doha-Runde nun offiziell auf 2006 verschoben worden sei. (APA/sda)