Die Abneigung der Österreicherinnen und Österreicher gegen dauerhafte Bindungen nimmt stetig zu. Das gilt für die Institutionen der Ehe, der Kirche, und für die Institution der Parteien wurde es erst dieser Tage wieder einmal durch eine IMAS-Umfrage bestätigt. Nur noch ein Viertel der Befragten bekannten, die Partei, für die sie sich einmal entschieden haben, auch dann zu wählen, wenn sie mit dem, was diese tut, nicht hundertprozentig einverstanden sind. Jeweils ein knappes Drittel erlauben sich einen gelegentlichen elektoralen Seitensprung beziehungsweise bezeichnen sich als grundsätzlich ungebunden und vor jeder Wahl aufs Neue zu einem Wechsel bereit. Eine Umfrage von 1973 hat noch 44 Prozent Stammwähler ergeben, ein Drittel gelegentliche und nur 16 Prozent prinzipielle Wechselwähler.

Die Tendenz dieser Entwicklung ist nicht überraschend. Sie hat unterschiedliche Ursachen, zum Teil solche, die die Parteien selber herbeigeführt haben. Die ideologische Entkrampfung ist eine davon, eine mit der Festigung von Demokratie und Wohlstand sich ändernde Rolle der Parteien im Leben der Bürger eine andere, wie auch die wachsende Mobilität und die schwindende Bedeutung familiärer Traditionen von Einfluss sind. Der Sohn ergreift nicht mehr automatisch den Beruf des Vaters, die Kinder wählen nicht mehr selbstverständlich die Partei ihrer Eltern.

Überraschend ist schon eher, wie wenig interessiert die Parteien selber auf eine Erosion reagieren, mit der sie nicht nur einmal alle dreißig Jahre konfrontiert werden, sondern die sie kontinuierlich zu spüren bekommen. Müssten sie doch an möglichst vielen Stammwählern – als Garanten ihrer Finanzierung und als politische Multiplikatoren – interessiert sein. Dennoch sehen sie achselzuckend zu, wie der Zahn der Zeit an ihren Wählerstämmen nagt. Dabei ist die festgestellte Tendenz zwar in absehbarer Zukunft kaum umkehr-, wäre aber immerhin kurzfristig korrigierbar – wenn einige Voraussetzungen stimmen.

So stieg der Anteil fest gebundener Wähler von 1973 auf 1975 um sechs Prozentpunkte. Das war, als sich Bundeskanzler Bruno Kreisky auf dem Gipfel seiner Popularität befand. Nun lassen sich weder Persönlichkeiten seines Kalibers, noch die politischen Umstände und das internationale Umfeld von damals reproduzieren, aber einiges ließe sich aus dem Beispiel doch lernen. Den politischen Gegner von seiner Politik zu überzeugen, ist auch Kreisky nicht gelungen; wenn es für die Parteien – wie IMAS analysiert – darauf ankommt, sich als kompetent zu präsentieren und die Sinnhaftigkeit ihrer Ziele glaubhaft zu machen, bleiben er und die von ihm geführte SPÖ ein unerreichtes Beispiel. Kurz: Glaubwürdigkeit bindet Wähler, selbst wenn da und dort Fehler unterlaufen.

Jetzt nicht seufzen: Der Mann hatte halt Charisma! Schön, wenn sich solches mit sinnvollen Konzepten verbindet, aber in einer Demokratie sollten die sinnvollen Konzepte genügen. Wenn sie fehlen, hilft auch charismatische Anmaßung auf Dauer nichts, wie die stimmenmäßige Berg- und Talfahrt der Haider-FPÖ zeigt. Das Schrumpfen des Stammwählerbereichs sei darauf zurückzuführen, dass der Bevölkerung die politische Orientierung und das Verständnis für brauchbare Konzepte schwerer falle als früher einmal, vermuten manche Experten.

Aber vielleicht findet die Bevölkerung auch nur die Konzepte der Parteien immer weniger brauchbar, nicht zuletzt deshalb, weil diese trotz allen begleitenden Getöses, abgesehen von Details, immer verwechselbarer werden und ein sich als Sachlichkeit ausgebender, das politische Leben einebnender Pragmatismus die inhaltliche Orientierung erschwert. Sogar ein Charismatiker wie Schüssel kann behaupten, seine Pensionsreform sei voll akkordiert. (DER STANDARD, Printausgabe, 31.7./1.8.2004)