Mediale Dauerpräsenz von Jiang Zemin als Warnung an Taiwan
Redaktion
,
Kaum ein Tag vergeht, an dem
Chinas Parteizeitungen auf
den Titelseiten nicht auch
über Armeechef Jiang Zemin
(77) berichten. Sie machen
deutlich, wer in der Politik des
Landes den Ton angibt. 20 Monate nach Antritt seines Nachfolgers Hu Jintaos als Parteichef und mehr als ein Jahr
nach Hus Wahl zum Staatspräsidenten bleibt Jiang Zemin bei allen wichtigen Entscheidungen die graue Eminenz Chinas.
Mehr als ein Dutzend Mal
erschien im Juli Jiangs Name
als Topnachricht in den Medien. Damit wurden Spekulationen beendet, dass der 2003
auf fünf Jahre zum Militärchef
wiedergewählte Altpolitiker
sein Amt schon auf dem Parteiplenum im Herbst an Hu abgeben könnte.
Die jüngste Nummer des
ZK-Theoriemagazin Jiushi
("Suche nach Tatsachen") bestätigte die ideologische Führungsrolle Jiangs. Sie druckte
eine Rede ab, in der Propagandaminister Liu Yunshan die
Partei auffordert, "die wichtigen Werke des Genossen Jiang
Zemin und dazu die wichtigen
Reden des Genossen Hu Jintao
zu studieren".
Machtverteilung
Jiangs Herausstellung dient
nach Auskunft informierter
Kreise in der Partei weniger dazu, die innere Machtverteilung in Chinas Politik erneut
aufzuzeigen. Sie richtet sich
eher als Botschaft nach außen
vor dem Hintergrund des angespannten Verhältnisses
zwischen China und Taiwan:
"Armeechef Jiang ist Chinas
Nummer eins auch für die Taiwanfrage. Er hat sie zur Chefsache gemacht", analysieren
Militärexperten die jüngsten
Auftritte und Aktivitäten
Jiangs.
Noch vor Hu Jintao traf Jiang
US-Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, als sie Anfang
Juli Peking besuchte. Jiang gab
die Richtung vor: China sei
"tief besorgt und unzufrieden"
über US-Waffenverkäufe an Taiwan. "Wir werden nicht
untätig zusehen, wenn Taiwan sich unabhängig erklärt
und vom Ausland unterstützt
wird."
Absolute Kontrolle
Seine absolute Kontrolle
über die Armee demonstrierte
Jiang öffentlich am 20.
Juni. Er
ließ sich von Vizearmeechef
Hu Jintao begleiten, als er in
einer vom Fernsehen übertragenen Zeremonie 15 Militärs
eigenhändig zu Generälen beförderte. Unter ihnen war
auch der Leiter des ZK-Wachbataillons, You Xigui, ein enger Vertrauter Jiangs, der für
dessen Sicherheit persönlich
verantwortlich ist. Jiang, der
seit 1989 Armeeführer ist, hat
seither 79 Generäle ernannt.
Unter seinem Vorgänger Deng
Xiaoping war das 1965 abgeschaffte System der Armeeränge wieder eingeführt worden.
Weitere drei Kommandeure
aus Luftwaffe, Marine und Artillerie will Jiang auf dem ZK-
Herbstplenum neu in die Zentrale Militärkommission aufnehmen lassen, berichtete die
Peking nahe stehende Hongkonger Zeitung Wen Wei Po.
Absicht sei es, die Armee auf
eine offensive, moderne
Kriegsführung mit Luftwaffe,
Marine und Raketen vorzubereiten.
Zeitplan
Die Entscheidung fiel dem
Bericht zufolge nach der Wiederwahl von Präsident Chen
Shui-bian in Taiwan im März.
Chinas Führung rechne damit,
dass Chen seinen Kurs zur Unabhängigkeit Taiwans weiter
verfolgen will. Peking werde
darauf über kurz oder lang mit
Krieg reagieren.
Laut Wen Wei Po gab Jiang
Zemin auf einer Sitzung der
Militärkommission erstmals
auch einen Zeitplan bekannt.
Bis spätestens 2020 müsse das
Taiwan-Problem gelöst sein.
Die nächste gefährliche Stufe
sei das Jahr 2006. Präsident
Chen Shui-bian will dann
nach eigener Ankündigung
Taiwans Bürger in einer
Volksabstimmung über eine
eigene Verfassung abstimmen
lassen. (DER STANDARD, Printausgabe, 28.7.2004)
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