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Spielt US-Präsident­schaftskandidat John Kerry in außenpolitischen Fragen mit George W. Bush im selben Team? Seine bisherigen Aussagen lassen dies jedenfalls vermuten.

Foto: APA/epa/Cj Gunther
John Kerry spricht Französisch. Perfekt. Und er bemüht sich, das weit gehend zu verheimlichen. Ebenso perfekt. Als am 6. Juni der 60. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie mit diversen Staatsakten begangen wurde, hielt John Kerry auch einige staatstragende Reden dazu und sprach jeden französischen Ortsnamen so aus, als würde ihm George W. Bush persönlich Nachhilfeunterricht erteilt haben. Dabei sollte er es besser wissen: Er urlaubt regelmäßig in Frankreich und mit seinem Cousin Brice Lalonde, dem ehemaligen französischen Umweltminister, parliert der US-Präsidentschaftskandidat ebenfalls auf Französisch.

Europa ist darüber verzückt. Amerika entsetzt. Der Cousin, zumal ein Grüner, weiß das: "Unsere Mütter waren Schwestern. Aber ich will nichts zerstören, weil ich weiß, dass es derzeit in den Vereinigten Staaten besser ist, nicht zu französisch zu erscheinen", meinte der stille Cousin einmal in einem Interview. Er hat recht damit. Nur George W. Bushs Koch hat die Entfremdung zwischen den USA und dem Alten Europa politisch überstanden. Der ist Franzose.

Für viele Europäer ist klar: John Kerry muss 44. Präsident der Vereinigten Staaten werden, sollen die transatlantischen Beziehungen nicht noch mehr geschädigt werden. Die meisten politischen Kommentatoren, zumal die europäischen, die sich zu Fürsprechern des demokratischen Kandidaten machen, verweisen auf Kerrys europäische Wurzeln, um zu argumentieren, dass er eben die Befindlichkeiten der Europäer besser zu verstehen imstande ist: Väterlicherseits stammt Kerry aus dem zerfallenen Habsburgerreich, Kerrys Vater Richard diente an den amerikanischen Botschaften in Berlin, Oslo und anderen Städten, Kerry genoss einen Gutteil seiner Schulbildung in einem Schweizer Internat.

Wenig Unterschiede

Aber: Nach allem, was John Kerry bisher zu seinem außenpolitischen Programm von sich gegeben hat, wird er nicht zum Anti-Bush werden. Eine Jugend in Europa kann nicht das prägende außenpolitische Erlebnis eines amerikanischen Präsidenten sein. Die bei Bush so scharf kritisierte Doktrin der "präventiven Militärschläge" wird fortgesetzt und keinesfalls auf die Deponie der gescheiterten politischen Visionen verfrachtet.

Kerry will diese Doktrin nur bei "akuter Bedrohung" anwenden. Klingt vertraut. Das wollte Bush auch. Im Irak. Der Unterschied in der Frage der präventiven Militärschläge ist marginal und höchstens von ästhetischer Bedeutung: John Kerry traut man eher zu, ehrlicher Makler amerikanischer Interessen zu sein als George W. Bush, der sich immerhin einen Krieg erschummelt und erlogen hat.

Saddam sind sie los, Bush vielleicht bald auch. Beim NATO-Gipfel in Istanbul giftete Jacques Chirac sichtlich verärgert über die Arroganz George W. Bushs: "Wir sind Freunde, aber keine Bediensteten." George W. Bush soll keine zweite Amtszeit bekommen, schon alleine deshalb schlugen Deutschland und Frankreich das Ersuchen Bushs ab, ebenfalls Truppen für ein künftiges NATO-Engagement im Irak bereitzustellen. Versinkt der Irak weiter im Chaos, säuft auch Bush in Washington politisch ab, so die Kalkulation. Da kann Bundeskanzler Schröder noch so sehr betonen, dass alle Staats- und Regierungschefs in Istanbul übereingekommen sind, nun "nach vorne zu schauen".

Tatsächlich wollen zumindest einige europäische Staaten abwarten, wer die Wahlen im November gewinnt, um nicht schon jetzt ihren Handlungsspielraum einzuschränken. Die Idee, die NATO in die Befriedung des Irak einzubinden, hat auch schon John Kerry geäußert, und sollte der Präsident werden, wird er Deutschland und Frankreich erneut auffordern, ihren Teil dazu beizutragen.

Dann werden die Europäer Schwierigkeiten haben, auch dem neuen Präsidenten diesen Wunsch abzuschlagen. Denn: Er war es nicht, der mit dem Krieg keinen Frieden in den Irak brachte. Soll heißen: Würde John Kerry Präsident, wird er eine neue Strategie des fordernden Multilateralismus fahren und Europa nachdrücklich auffordern, beim Weltordnen nun wieder mitzumachen.

Wenn sich die Europäer also nach einem Regimewechsel in Washington sehnen, so sollten sie bei aller Freude über ein Ende Bushs nicht übersehen, dass damit auch das sicherheitspolitische Wachkoma der vergangenen Jahre ein Ende hat. Schon hat Kerry angekündigt, "potenziell aggressiver" als frühere demokratische Präsidenten zu agieren, wenn es um Militäraktionen geht. Natürlich: Er will "Amerika zurück in die Staatengemeinschaft führen" und amerikanische Handlungsoptionen mit Europa abstimmen, letztendlich aber wird es weiterhin Washington sein, das entscheidet.

EU-Gegenleistung

Um das Vertrauen der Verbündeten zurückzugewinnen, hat Kerry als Vorleistung schon einige politische Blankoschecks ausgestellt, die Europa nur noch einlösen muss: Die USA wollen etwa das am Wiener UN-Sitz verwaltete Abkommen über den weltweiten Atomteststopp ratifizieren, die UN sollen insgesamt eine größere Rolle spielen. Doch dafür erwartet Kerry auch eine europäische Gegenleistung. Insofern könnte die große Vorfreude auf einen Sieg des Herausforderers Bushs ein jähes Ende finden.

Denn sobald John Kerry ins Oval Office einzieht, werden sich einige europäische Staatenlenker wieder Problemen gegenüber sehen, deren Bewältigung ihnen George W. Bush in den vergangenen vier Jahren erspart hat. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 26.7.2004)