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Wien - Das Wettrennen einer kleinen Rasselbande durch sonnengelbe Weizenfelder mündet in eine Mutprobe. An dieser Stelle zeigt Michele, der kindliche Held aus Gabriele Salvatores' Filmdrama Io non ho paura/Ich habe keine Angst , zum ersten Mal Zivilcourage - wenn er dem Gruppendruck widersteht und für ein dickliches Mädchen den Ehrenretter gibt.

Aus der Perspektive der Kinder erzählt Salvatores, die Kamera auf deren Augenhöhe: Anfangs wird hier, irgendwo in Apulien, wo es noch nicht einmal dörfliche Strukturen gibt, ein unbeschwertes Aufwachsen geschildert. Der Tonfall ändert sich, als Michele nahe einer Baracke ein Loch entdeckt, in dem ein verwahrlostes Kind, ein Kaspar Hauser hockt, scheinbar kaum des Sprechens fähig.

Ich habe keine Angst - der Filmtitel gibt das Drama vor: Michele überwindet sich, gibt dem befremdlichen Wesen zu trinken, nähert sich ihm an. Salvatores inszeniert die Begegnungen mit Ambivalenz, sodass man zunächst nie ganz sicher ist, wie viel sich hier der Einbildung verdankt - zu irreal scheint das Setting an diesem bukolischen Ort, der in schwebenden Fahrten zur Augenweide wird.

Die Auflösung des Falls ist jedoch ziemlich profan. Micheles Eltern und noch ein paar Nachbarn haben das Kind entführt, um Lösegeld zu erpressen. Mit dieser Wende gerät auch der Film immer mehr aus dem Gleichgewicht. Was als Initiationsdrama begonnen hat, das den Übertritt ins Erwachsenwerden beschwören soll, wird zum Kriminalfilm, in dem mit massivem Einsatz dramatischer Mittel dramaturgische Schwächen überspielt werden.

Salvatores, der 1992 für Mediterraneo den Auslandsoscar gewonnen hat, findet keine überzeugende Balance zwischen den unterschiedlichen Genreelementen, aus denen er Ich habe keine Angst zusammenstellt. Obwohl Michele die längte Zeit keine Verbindung zwischen dem Kind im Loch und dem merkwürdigen Verhalten seines Vaters herstellt, wird er mit einem Mal in die Position gebracht, eigenhändig handeln zu müssen: So setzt sich der konventionelle Krimi am Ende wuchtig gegen die Kindheitsfabel durch.