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Insbesondere die Beteiligung Großbritanniens am Irak-Krieg mit zweifelhaften Begründungen wird Blair vorgeworfen.

Foto: AP/Andrew Parsons
GRafik: Standard
Gefeiert haben sie ihn höchstens im Stillen, den 10. Jahrestag der Ära Tony Blair. Vielleicht haben sie kurz mit Champagner angestoßen im Millbank Tower, dem Hauptquartier der Labour-Partei, einem langweiligen Hochhausklotz an der Themse. Groß gejubelt wurde jedenfalls nicht, schon deshalb nicht, weil Blair Zeremonielles nicht mag. Zehn Jahre New Labour, im politischen Kalender der Regierungsmeile Whitehall war das Jubiläum am Mittwoch höchstens eine Fußnote.

Am 21. Juli 1994 wurde Blair, der Reformer und Modernisierer, zum Vorsitzenden der britischen Sozialdemokratie gewählt. Im Mai 1997 gewann er seine erste Unterhauswahl, seitdem ist er Premier. Was sich geändert hat in der ereignisreichen Dekade New Labours, wie sich der Vorturner selber wandelte, das kann man wie im Zeitraffer an Steve Bells Karikaturen ablesen.

Am Anfang war Bambi, ein scheues, unschuldiges, nett lächelndes Reh. Blair galt als Hoffnungsträger, erfrischend jugendlich, ein unbeschriebenes weißes Blatt, Jurist mit Oxford-Diplom, ein Außenseiter - einer, der "an der Außenwand des Labour-Hauses nach ganz oben kletterte", wie es der Altliberale Lord Bill Rodgers einmal formulierte. Vor seinem großen Karrieresprung diente Blair seiner Partei als innenpolitischer Sprecher. Eigentlich wusste man von ihm nur, dass er Law and Order mochte, das Verbrechen mit harter Hand zu bekämpfen gedachte und Margaret Thatcher, die Erzfeindin der Linken, gar nicht so übel fand.

Im September 2001 dann zeichnete ihn Steve Bell als muskelbepackten Gorilla an der Seite George W. Bushs, mit Zigarre im Mundwinkel, auf den Lippen die berühmten Churchill-Worte "We shall never surrender" ("Wir werden niemals kapitulieren"). Blair, der entschlossene Krieger im Kampf gegen den Terror.

Später, vor dem Irakfeldzug, verspottete ihn Bell als Pudel an der Leine des US-Präsidenten, alternativ auch als Pinocchio mit Lügennase. Heute malt er ihn als entgleiste Lokomotive, ein Häuflein Unglück neben der unter Volldampf dahin brausenden Lok des Schatzkanzlers Gordon Brown, den der Karikaturist sagen lässt: "Ich weiß, dass Blair nur noch Schrott ist."

Grobe Überzeichnungen. Doch wie sehr sich die Geister an der Leitfigur des New-Labour-Jahrzehnts scheiden, machen drei willkürlich herausgegriffene Meinungen klar. "Blair hat etwas Außerordentliches getan, er hat den Leuten die Angst vor der Labour-Partei genommen", sagt der Oxford-Akademiker David Butler.

Die Journalistin Amanda Platell, einst Beraterin des Tory-Spitzenpolitikers William Hague, ist ganz anderer Ansicht: "Sein Vermächtnis wird sein, dass die einfachen Menschen glauben: Alle Politiker lügen." Blairs Haare seien inzwischen so dünn wie die Beweise für irakische Massenvernichtungswaffen, auf deren Grundlage er in den Krieg zog. "Ich glaube nicht, dass das Thema Irak alles überschattet", relativiert der Londoner Historiker Tristram Hunt. "Blair hat die politische Landschaft gründlich umgestülpt, genau wie Maggie Thatcher."

Das finden auch die Gewerkschaften, die nahe daran sind, Blair die Freundschaft aufzukündigen. Über seinen Wahlerfolgen habe Blair völlig vergessen, dass sich die Labour Party über Werte definiere, sagt etwa Kevin Curran, Chef der Industriegewerkschaft General, Municipal and Boilermakers (GMB): Kollektivismus, das Integrieren sozial Schwacher, parlamentarische Demokratie. "Dieses Wertesystem ist der Kitt, der uns zusammenhält", schreibt Curran und wirft dem Premier vor, die Arbeiterführer wie "peinliche Verwandte am Familientisch" zu behandeln. Man wolle die "historische Verbindung" zwischen Gewerkschaften und Partei nicht kappen. Das gelte aber nur, "wenn sich Labour zu einem radikalen Programm der sozialen Gerechtigkeit bekennt".

Dass der Seiteneinsteiger, der Sohn eines konservativen Rechtsprofessors, seine Labour-Partei von links in die Mitte rückte, war sein Erfolgsrezept. Und ist es nach wie vor. Umfragen vermitteln kein Schwarz-Weiß-Bild, sondern feine Facetten. Dem Meinungsforschungsinstitut ICM zufolge halten 52 Prozent der Briten ihren Regierungschef für arrogant, 62 Prozent für zu präsidial, 72 Prozent für erfahren. Dass er den kleinen Mann gut versteht, glauben nur noch 37 Prozent (1997: 65 Prozent). Dass er seine Landsleute vor dem Irakkrieg belog, halten 55 Prozent für erwiesen.

Dennoch: In denselben Umfragen liegt die Labour Party weiter vor den Konservativen und den Liberaldemokraten, den wegen ihrer Kritik am Irakkrieg im Aufwind segelnden Drittplatzierten. Bleibt es so, kann Blair im nächsten Frühjahr sein drittes Parlamentsvotum in Folge gewinnen.

Der Mann denke gar nicht daran, Platz zu machen für seinen Kronprinzen Brown, flüstert die Gerüchteküche. Blair glaube, er habe in Sachen Irak das finsterste Kapitel hinter sich, schreibt der Downing-Street-Insider Tom Baldwin in der Times. "Nun erzählt er seinen Freunden, wie gern er auf seinem Posten bleiben will, möglichst noch eine komplette dritte Amtszeit." (DER STANDARD, Printausgabe, 22.7.2004)