Musik
<b>Kommentar von RAU:</b> Eine Kleiber-Anekdote
Der Tod des überragenden Dirigenten Carlos Kleiber hat zu einem kurzen Aufwallen von Anekdoten über, von und mit dem exzentrischen Genie geführt
Angeregt dadurch, kann auch
hier eine Kleiber-Anekdote
geboten werden,
eigentlich eine
Wiener-Bildungsbürgertum-Carlos-Kleiber-Rezeptions-Anekdote. Vor
zehn Jahren dirigierte der
Maestro einige "Rosenkavalier"-Aufführungen an der
Staatsoper. In einer Loge saß
vorne an der Brüstung ein
hochrangiger katholischer
Politiker, versehen mit vielen Orden und einer gewaltigen Stimme. Er erspähte
einen Journalisten, der einen weit schlechteren Platz hatte. Offenbar motiviert
von Nächstenliebe, bot er
unter häufiger Verwendung
des Ausrufs "Bitte, Herr
Chefredakteur!" seinen
Platz an. Die einsetzende
Musik stoppte das zunächst
ab, bis gegen Ende des ersten Akts. Die Marschallin sang von
der Zeit, die ein
"sonderbar Ding"
ist; die Musik atmete mit ihr; es war einer
von Kleibers "magischen
Momenten". Im Haus rührte
sich kein Huster – aber
plötzlich erklang dröhnendes Flüstern: "Herr Chefredakteur, möchten Sie nicht
doch..." Carlos Kleiber war
zum Glück in Trance. Sonst
hätte er seine wiedererlangte Staatsbürgerschaft gleich
wieder zurückgegeben. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.7.2004)