"Die Zeit, sie läuft, wir laufen mit." Gibt es Verbindungen zwischen Wilhelm Busch und Sidi Larbi Cherkaoui?

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"Die Zeit ist nicht mehr länger unsere Meisterin, sondern unsere Tanzpartnerin." So kommentiert der 28-jährige belgisch-marokkanische Jungchoreograf Sidi Larbi Cherkaoui seine aktuelle Inszenierung Tempus fugit .

Unsere Epoche, die ihre universelle und einheitliche Zeit verloren hat, ist vielleicht gerade darum zwanghaft von ihr besessen und versucht, sie zu normieren, zu segmentieren und zu funktionalisieren. Sidi Larbi Cherkaoui und acht Tänzer und Tänzerinnen des für ironische und abgründige Tanztheaterproduktionen international bekannten Künstlerkollektivs Les Ballets C. de la B. spielen mit Zeitkonventionen, indem sie eigene Erinnerungen in Bewegung übersetzen. Ihr Tanzpartner, die Zeit, kennt in Tempus fugit noch unterschiedliche Rhythmen und Geschwindigkeiten. Sie dreht sich mit den Körpern und macht Schleifen, lässt Déjà-vus erscheinen und wieder verschwinden.

Funkelndes Mosaik

Der narrative und temporale Pfeil vervielfacht sich plötzlich und fliegt in verschiedene Richtungen. Traditionelle Lieder aus Albanien, Korsika, Süditalien, Marokko, zeitgenössischer Tanz und Geschichten aus der mediterranen Kultur, Westafrika und der arabischen Welt werden von Cherkaoui zu einem funkelnden Mosaik zusammenmontiert. Wie verschieden die Dynamik der Kulturen auch sein mag, die Themen der Lieder kreisen alle - beinahe zeitlos - um Liebe, Krieg, Trauer und Freude.

"Ist es nicht so, dass jede (Zeit-)Erfahrung auf die relativen Bewegungen der Himmelskörper Sonne, Mond und Erde zurückgeführt werden kann?", fragt Cherkaoui. Ein unzeitgemäßer Gedanke? Vielleicht. Doch im scheinbar Trivialen steckt bekanntlich die Essenz aller Dinge. Umso schöner, wenn dieses alte Wissen so zeitgenössisch und witzig inszeniert wird. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.7.2004)