Gmunden - Wenn die Festwochen Gmunden mit einem 90 Veranstaltungen umfassenden Mehrspartenprogramm gegenüber dem letzten Jahr wieder - oder weiter - gewachsen sind, setzt Intendantin Jutta Skokan bewusst Wegsteine in die von ihr zitierte "Übergangszeit" (Robert Musil).

Die immer schneller auf einander folgenden "Übergangszeiten" scheinen sich zu multiplizieren, die Kunst soll das Publikum der Festspiele im Gegensatz zur Beliebigkeit und Saturiertheit herausfordern, "Anstrengungen auf sich zu nehmen, durch Utopien aus unserer derzeitigen Windschattenexistenz zu flüchten". In ihrer Eröffnungsrede, die von der südkoreanischen Pianistin Young Choon Park mit Mozart-Interpretationen und dem österreichischen Jazz-Duo Agnes Heginger/Georg Breinschmid eingerahmt wurde, will Skokan "Welt und Lust ernst nehmen", in diesem Jahr vor allem das "Spielerische hochhalten".

Anlässlich der am Freitag eröffneten Festwochen im Stadttheater Gmunden postulierte der designierte Leiter der Documenta XII, der aus Berlin stammende, in Wien und Barcelona lebende Ausstellungskurator Roger M. Buergel diesen Fluchtgedanken auch für die Kunst. Für Buergel fahndet das "planetarische Kleinbürgertum" (Giorgio Agamben) nach der Kunst als Produkt, dem entspricht auch die Suche dieser eins gewordenen Klasse nach der eigenen Identität, "die zwischen Scham und Arroganz, Konformität und Außenseitertum schwankt, den eigenen Tod als letzte Form der Enteignung ihres Lebens erfährt".

Für Buergel ist der Stachel der Kunst und ihre Herausforderung, dass sie "ihren Eigensinn erst dann offenbart, wo wir seiner habhaft zu werden trachten, wo wir uns etwas anzueignen suchen". Für das Publikum ist "die Aneignung zumeist eine Frage des Verstehens. Die Fragen, die sich dem Betrachter oder Zuhörer - konfrontiert mit Dingen, die sich nicht identifizieren lassen - aufdrängen, lauten: ,Was bedeutet das?' oder ,Wie lässt sich das verstehen?'" Buergels radikale Antwort lautet: "Gar nicht!", was aus seiner Sicht zur narzisstischen Kränkung des Menschen führt.

Für Roger M. Buergel zeigt sich der Eigensinn der Kunst bei dessen Aneignung. "Erst in dem Augenblick, wo sich Kunst entzieht, werden wir der Grenzen unserer Vernunft gewahr. Es gibt daher zu dem Wunsch, die Dinge zu verstehen, keine Alternative. Gleichzeitig müssen wir da-mit leben, dass sie sich nicht verstehen lassen."

Mit seinen Thesen stellt Buergel den Festwochen damit auch eine immanente Sinnfrage nach Rezeption "verstehbarer Bedeutung", das inhaltliche Gewicht der Gmundener Festwochen im Kunstumfeld muss in der Vielzahl erst bewiesen werden. (Thomas Hein/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19 7. 2004)