Die Vorgeschichte des Juliputsches von 1934 ist eine des Dilettantismus und der Intrigen aufseiten der illegalen Nationalsozialisten und der Sorglosigkeit und Schlamperei aufseiten der Regierung. Schon 1933, nach dem Verbot der NSDAP im Juni, arbeitete eine Gruppe von Nazis in der Wiener Polizei einen Plan für einen Putsch zum Sturz der Regierung Dollfuß aus.

An der Spitze der Verschwörer stand der Kommandant der Alarmabteilung, Leo Gotzmann, der in der Polizei eine NS-Zelle aufgebaut hatte, die rund tausend Mitglieder umfasste. Von der Landesleitung der NSDAP kam jedoch die Mitteilung, dass der "Führer" keine Zustimmung gab, weil die außenpolitische Lage dafür nicht reif sei. So wurde der Plan auf Eis gelegt.

1933 wurden die Mitglieder des 1930 gegründeten NS-Soldatenbundes aus dem Bundesheer entlassen. Die von Fridolin Glass in sechs Kompanien aufgebaute illegale "Militärstandarte" wurde zunächst der SA unterstellt, aber Anfang 1934 von Himmler als Standarte 89 der SS eingegliedert. Dies führte zu Spannungen mit dem SA-Chef Hermann Reschny, die, als die SS-Führer Glass und Otto Gustav Wächter auf den Putschplan zurückgriffen, darin gipfelten, dass Reschny über Mittelsmänner die Generaldirektion für öffentliche Sicherheit davon informierte. Diese und andere Hinweise verloren sich aber auf dem Amtsweg.

Vom deutschen "Generalinspekteur" Habicht nach München berufen, ließen sich Glass und Wächter die Putschpläne genehmigen. Habichts Stabschef Weydenhammer fuhr nach Rom und fand dort bei dem christlichsozialen früheren steirischen Landeshauptmann Anton Rintelen, den Dollfuß auf den Gesandtenposten abgeschoben hatte, die Bereitschaft, als neuer Bundeskanzler eine Regierung mit Nationalsozialisten zu bilden. Allerdings wies Rintelen darauf hin, dass Adolf Hitler bei seinem ersten Treffen mit Benito Mussolini in Venedig (am 14. und 15. Juni) offenbar keine Konzessionen in der Österreichfrage gefunden hatte, denn der "Duce" hatte Dollfuß unmittelbar danach zu einem Sommerurlaub nach Riccione eingeladen. Trotzdem beharrten die Putschisten auf ihrem Plan.

Sonderplan der SS

Wie unkoordiniert deren Vorhaben war, zeigt sich daran, dass weder die SA in Wien in Alarmzustand versetzt wurde (wozu die Röhm-Affäre im "Reich", bei der am 30. Juni die SA-Spitze liquidiert wurde, beitrug), als auch, dass eine SS-Standarte 11 plante, auf eigene Faust auf Dollfuß' Auto am Michaelerplatz einen Handgranatenanschlag zu verüben.

Auch war Glass-Wächters Putschplan darauf abgestellt, dass die gesamte Regierung auf einen Schlag in Geiselhaft genommen würde und danach sowohl Polizei als auch Bundesheer dem neuen Bundeskanzler Rintelen widerstandslos gehorchen würden; mit der Heimwehr glaubten die Nazi gegebenenfalls selbst fertig zu werden.

Habicht, mit dem Hitler unzufrieden geworden war, wollte sich den "Erfolg" eines "kalten Putschs" ohne Blutvergießen allein auf seine Fahnen heften. Denn obwohl es keine Quellen dafür gibt, dass Hitler das Vorhaben guthieß oder auch verbot, hätte er eine Beseitigung des anschlussfeindlichen Dollfuß-Regimes zweifellos als Triumph seiner "Bewegung" in Anspruch genommen.

Eine neuerliche Anzeige aufgrund der Geschwätzigkeit eines SS-Mitverschwörers am 24. Juli wurde von der Polizeidirektion nur mit Aufforderung der Torwache zu verstärkter Wachsamkeit am Ballhausplatz beantwortet.

Regime jagte Rote Das Regime war nach wie vor auf Jagd nach den Roten: am 15. Juli waren bei einer Polizeiaktion gegen eine sozialdemokratische Versammlung im Wienerwald (bei der die junge Rosa Jochmann sprach), zwei Arbeiter getötet worden, und am 24. Juli wurde der 22-jährige Josef Gerl wegen versuchter Sprengung einer Bahnsignalanlage standrechtlich gehenkt. "Danken wir Gott, dass es kein Nazi war" kommentierte der Kanzler die Hinrichtung. Einen Tag später wurde er ein Opfer der Nazis. (Manfred Scheuch/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17./18 7. 2004)