Ian Englishs "Approaching Relationships with Caution, 1977": eine unheimliche Beziehungsanbahnung

Foto: English, MUMOK
Mike Kelley errichtet im MUMOK mit der Schau "Das Unheimliche" ein kulturhistorisches Universum. Es reicht von Wahnsinn, Krankheit, Verbrechen hin zur Welt künstlicher Menschen. In ihm wird aber auch die Ikonografie der Moderne befragt.


Wien - In seinem Ausstellungsprojekt "Das Unheimliche" im MUMOK tritt US-Künstler Mike Kelley in einer Mehrfachfunktion als Sammler, Kurator und Künstler auf. In Anspielung auf Sigmund Freuds Schrift "Das Unheimliche" (1919) setzt Kelley als "Regisseur" unheimliche figürliche Darstellungen in einem groß angelegten historischen Bogen miteinander in Beziehung, angefangen von altägyptischen Grabbeigaben bis hin zu Wachsfiguren, ausgestopften Tieren und anatomischen Präparaten.

Die Idee zu diesem Projekt, das Kelley vor rund einem Jahrzehnt im Rahmen von Sonsbeek 93 erstmals realisierte, geht auf einen Wien-Aufenthalt des Künstlers zurück. So sind auch Objekte von diversen "unheimlichen" Orten Wiens in die Schau integriert, u. a. pathologische Wachspräparate aus dem Narrenturm und Objekte aus dem ehemaligen Wurstelprater.

Das MUMOK holt die Schau nun - in Kooperation mit der Tate Liverpool neu konzipiert - in deren Geburtsstadt zurück, als erste museale Einzelausstellung von Kelley in Österreich. Unter den Exponaten finden sich zudem Werke aus der Sammlung des MUMOK, darunter Arbeiten von Christo, John de Andrea, Duane Hanson, Tetsumi Kudo oder Edward Kienholz.

Ein unhierarchisches, rhizomatisches Nebeneinander von Objekten aus verschiedenen Epochen eröffnet hier ein Universum des Unheimlichen. Auf den ersten Blick scheint die Ausstellung viel mit den "Kunst- und Wunderkammern" zu tun zu haben. Bizarre Exponate aus der Welt der Medizin stehen neben Künstlerarbeiten, beseelt scheinende Automaten neben Abbildungen von Toten.

Mimesis und Illusion

Die zweiten Blicke offenbaren unterschiedlichste Querbezüge: "Marionetten, Kleiderpuppen, Wachsfiguren, Roboter, Puppen, Kulissen, Gipsfiguren, Dummies, mechanisches Spielzeug, Mimesis und Illusion: Sie alle gehören zum fetischistischen Zauber und zum Universum des Künstlichen. Angesiedelt zwischen Leben und Tod, dem Beseelten und dem Mechanischen, den Hybridwesen und solchen Geschöpfen, denen die Hybris zum Leben verhalf, sie alle haben eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Fetisch. Und als Fetische vermitteln sie uns, zumindest eine Zeit lang, das Gefühl, dass es eine Welt gibt, die nicht von unseren üblichen Gesetzen beherrscht wird, eine wunderbare und unheimliche Welt." (Janine Chasseguet-Smirgel)

Das Gefühl des Unheimlichen regt sich laut Freud in jenen Momenten, in denen hinter der vertrauten "Heimeligkeit" des Gewöhnlichen plötzlich eine irritierende, angsterfüllte Dimension hervortritt - das bislang Vertraute wendet sich ins "Unheimliche". Kontextverschiebungen sind deshalb auch Werkzeuge, die Kelley in der Schau einsetzt und die zu verschiedenen Querbezügen führen.

"Wenn man die Ästhetik nicht auf die Lehre vom Schönen einengt, sondern sie als Lehre von den Qualitäten unseres Fühlens beschreibt", wie Freud schreibt, dann geht es hier nicht nur um die Schattenseiten von Gefühlswelten. Nachdem außerdem die farbige, figurative Skulptur im Kanon der Moderne ein Schattendasein fristet, kann man die Schau insgesamt auch als charmanten Umgang mit der Wiederkehr des Verdrängten sehen. Die Ausstellung thematisiert aber auch Aspekte des Sammelns. Das Museum als Territorium eines immer weiter expandierenden Universums von kulturellen Manifestationen wird in diesem Sinne bestens ausgenutzt. Durchaus auch ironisiert im letzten Teil der Schau, den so genannten "Harems" - einer Ansammlung von Gegenständen, die Kelley seit seiner Kindheit sammelt. Sie reichen von Plastikspielzeug über Comics bis hin zu Besteck.

Ein umfangreiches Rahmenprogramm ergänzt die Schau. So gibt es heute, Samstag, 19 Uhr, ein Podiumsgespräch zwischen Mike Kelley und John Welchman. Und das dazugehörige Filmfestival präsentiert insgesamt 22 "unheimliche" Filme aus verschiedenen Genres. (DER STANDARD, Printausgabe vom 17./18.7.2004)