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Chirac kündigt ein französisches Referendum zur EU-Verfassung an.

Foto: REUTERS/Patrick Kovarik
Paris - Frankreich wird als zehntes EU-Mitgliedsland mit einem Referendum über die europäische Verfassung entscheiden. Staatspräsident Jacques Chirac kündigte anlässlich des Nationalfeiertags am Mittwoch in Paris an, die Bevölkerung über die Ratifizierung des neuen EU-Vertrages abstimmen zu lassen. "Die Franzosen sind direkt betroffen, und deshalb werden sie direkt befragt", sagte Chirac in einem Fernsehinterview. Die Volksabstimmung werde "in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres" abgehalten werden.

Vertrauen auf ein "Ja"

Er vertraue darauf, dass die Franzosen die Verfassung nicht zurückweisen würden, sagte Chirac. Bei dem Referendum werde eine "wesentliche Frage" für die Zukunft der Bürger und ihrer Kinder gestellt. Er selbst werde "mit Sicherheit" an der Kampagne für ein "Ja" teilnehmen. Die Verfassung, die Chirac als "guten Text" pries, sei wichtig, da nur ein erweitertes Europa Frieden und Demokratie garantieren kann. In einer Ende April veröffentlichten Umfrage antworteten 57 Prozent mit "Ja" auf die Frage, ob sie für die Verfassung stimmen würden.

Mit seiner Entscheidung kam der Präsident nach langem Zögern der Forderung von führenden Vertretern fast aller Parteien in Frankreich nach. Auch Mitglieder von Chiracs Regierungspartei UMP sprachen sich für ein Referendum aus. Die Entscheidung darüber liegt in Frankreich allein beim Staatspräsidenten.

Erste Reaktion

Der britische Europaminister Denis MacShane hat die Entscheidung Chiracs begrüßt. Der "Mut" des Präsidenten sei erfreulich, sagte der Minister am Mittwoch. Jetzt müssten in Großbritannien und Frankreich alle EU-Befürworter Überzeugungsarbeit bei ihren jeweiligen Bevölkerungen leisten.

Die extrem rechten und linken Anti-Europäer auf beiden Seiten des Ärmelkanals würden eine "sehr populistische Kampagne" führen, aber die Zustimmung zur EU seien im "nationalen Interesse Großbritanniens und Frankreichs".

Hintergrund: Die Verfassung

Auf die Verfassung hatten sich die Staats- und Regierungschefs der EU Mitte Juni bei einem Gipfeltreffen in Brüssel nach monatelangem Tauziehen geeinigt. Damit sie wie geplant 2007 in Kraft treten kann, muss sie von jedem der 25 Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Volksabstimmungen haben bereits Großbritannien, Dänemark, Irland und Luxemburg angekündigt. Auch in Belgien, den Niederlanden, Spanien, Polen, Tschechien und wahrscheinlich in Estland sollen die Bürger per Referendum befragt werden.

In mehreren Ländern ist die Entscheidung noch nicht gefallen. Die deutsche Regierung plant kein EU-Referendum. Nach offiziellen Angaben vom Dienstag ratifiziert Berlin die EU-Verfassung wie geplant im parlamentarischen Verfahren.

Referenden in anderen Ländern

Österreich will nur dann ein Referendum abhalten, wenn es zu einer europaweiten Abstimmung kommt. Obwohl das Grundgesetz keine Gesamtänderung der österreichischen Verfassung bedeute, werde er sich dann nicht verschließen, sagte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) erst am Dienstag.

Als besonders unsicher gilt der Ausgang des Referendums in Großbritannien. Was passiert, wenn sich die euroskeptischen Briten mehrheitlich gegen den neuen Vertrag aussprechen, ist noch offen. In einem der Verfassung angefügten Protokoll ist festgehalten, dass sich die Staats- und Regierungschefs beraten, sollte es in einem oder mehreren Mitgliedstaaten Schwierigkeiten bei der Ratifizierung geben.

Referenden in Frankreich

In Frankreich wurden seit 1945 zwölf Referenden abgehalten, zwei Mal stimmte die Bevölkerung mit Nein. Im Mai 1946 wurde ein Verfassungsentwurf abgelehnt. Eine Abstimmung über die Reform der Regionen im April 1969 geriet zu einer Art Misstrauensvotum gegen den damaligen Präsidenten Charles de Gaulle, der kurz nach der Ablehnung der Reform zurücktrat. (APA/AP)