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Iggy Pop und seine nach 30 Jahren wieder belebten Stooges werfen sich in Wiesen zum Abschluss des Forestglade-Festivals in die letzte aller Schlachten. Bloß nie erwachsen werden und diskutieren müssen: "I'm loose!"

Foto: APA/Herbert P. Oczeret
Nihilismus, Drogen, Selbstzerstörung, die Erfindung des Punk. 30 Jahre später gastierten die Überlebenden jetzt erstmals in Österreich. Eine schwarze Messe in Wiesen.


Wiesen - Es beginnt mit einer Hymne an den Kontrollverlust: "I'm loose!" Das hier ist ein brutaler, ein einfach gestrickter Schrei aus der Steinzeit der Rockmusik: Hunger, Durst, lästig, fad! Damals, Ende der 60er-Jahre, wandte man sich in einem Vorort von Detroit nicht nur gegen Blumen im Haar, gegen die Idee des nur Zeit raubenden, also reichlich sinnlosen Vorspiels, gegen wenig hilfreiche Zivilisationsleistungen wie das Konzept der Nüchternheit - oder zu dumpfem Kriegstrommelrhythmus auch gegen die Vision einer friedlichen Gesellschaft im Allgemeinen: "It's 1969, okay?! There's war, war, war across the USA!"

Über die Hilfsmittel negativer männlicher Energie, jugendlicher Zerstörungswut und den philosophisch knapp bemessenen Überbau des Nihilismus unter besonderer Berücksichtigung von Heroin ging es bei Iggy Pop & The Stooges programmatisch eindeutig zur Sache. Auf noch heute faszinierend negativen und in logischer Konsequenz selbstdestruktiv klingenden Alben wie The Stooges (1969), Fun House (1970) und dem Fanal Raw Power aus 1973 hört man noch heute wohl jede junge, im Aufruhr befindliche Seele berührende, misanthropische und überzogen narzisstisch-gekränkte Statements wie "No Fun!" oder "I'm dirt!" oder "I wanna be your dog!".

Verständnis, Toleranz und die nicht umsonst mit dem Begriff Alter gekoppelte Milde? Ja, genau, ihr mich auch. Wenn man jung ist, hat man keine Zeit, um zu diskutieren. Irgendetwas auf dieser Welt passt nicht. Eigentlich passt nichts. Das muss weg. Eins in die Fresse, mein Herzblatt!

Wir hören eine tatsächlich wortwörtlich gemeinte primitive Musik. Sie reißt dank beherzt gewählter Lautstärke und einer gewissen Konsequenz beim sturen Beibehalten von knappen Gitarrenriffs alles nieder.

Der drogenbedingte spastische Anfälle heute kenntnisreich nachäffende, weil längst mit Bircher-Müsli überlebende Sänger bezeichnet das als "direkt aus der Hölle" kommend. Mit ausgemergeltem nacktem Oberkörper, gestrecktem Mittelfinger, ausgiebigem Gespucke und Testosteron im Schritt wird von Iggy Pop wenig missverständlich illustriert, dass es für eine verschwendete Jugend, die keiner von uns jemals haben wollte, nie zu spät ist.

Wer will schon jung sein, wenn er noch jung ist? Iggy Pop ist 58. Es lebe das würdelose Altern! Und jetzt ein Kopfsprung ins Publikum! Und jetzt beim Song No Fun die kleinen Burgenländerinnen auf die Bühne! Es ist ein böser, moralisch und sittlich total verkommener und noch immer ziemlich beeindruckender Satyr, der hier genüsslich im Schweiß der kreischenden Jungfrauen badet und atavistische Bockgesänge und -sprünge vollführt.

Nach mehr als 30 Jahren werden hier auf der Bühne des Forestglade-Festivals im burgenländischen Wiesen dunkle Kräfte beschworen, an die sich nicht nur die auftretenden Protagonisten Iggy Pop & The Stooges aus guten Gründen nicht mehr wirklich erinnern können und wollen.

Da ist zum einen Gitarrist Ron Asheton. Der sieht heute mit Peter-Rapp-Bart und in einer gut ausgefüllten Safari-Jacke aus, als ob er sonntags immer gleich nach der Messe in den Wald fahren würde, um dort alles niederzuschießen, was sich bewegt. Jeder Mann braucht ein Hobby. Drei, vier Akkorde auf der Gitarre können es nicht sein.

Und auch sein Bruder Scott am Schlagzeug hat die letzten Jahrzehnte offensichtlich sehr viel Pech gehabt. Scott hatte schon die frühen 70er-Jahre mit einem Handtuch über dem Kopf verbracht. Um sich vor bösen Dämonen zu schützen. Heute hat er sich mit ihnen arrangiert. Mindestens zwei davon dürfen ihm über die Schulter schauen, während er gehetzt blickt und am physischen Limit auf die Felle drischt.

Trotzdem tut man hier beim Konzert so, als ob alles normal wäre. Und das bei einer Musik, die historisch gesehen einst die schnell dünn und dann tot machenden Drogen und damit verbunden den Charakterverlust und die Selbsterniedrigung als große Geste gegenüber einer Welt erfunden hat, die, bitte schön, den Bach hinuntergehen soll. Wobei man ihr aber eh nicht wirklich helfen muss.

Der Amoklauf als künstlerisches Statement. Ein großer Abend. Das mit dem Weltfrieden regeln wir ein anderes Mal. Heute sind wir jung und deppert. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.7.2004)