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Neulich jenseits des Großen Teichs: "Dieser Khol hat gerade wieder angerufen - was soll ich ihm sagen?"

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Die von Andreas Khol in seiner Parlamentsrede zitierte Maxime "Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass sich alles verändert", prägt in Lampedusas Roman nicht, wie Samo Kobenter seine Leser belehrt, der Fürst von Salina, um mit der Mafia zu fraternisieren, sondern dessen Neffe Tancredi, um seine Teilnahme an der Garibaldischen Revolution zu rechtfertigen und sich gegen den Vorwurf seines dem Ancien Regime anhängenden Onkels zu verteidigen, er verrate die bourbonische Legitimität. Tancredi vertritt somit - als verarmter Adeliger durchaus opportunistisch - den bürgerlichen Nationalstaat gegen die feudale Reaktion und nicht die Mafia, so wenig wie sein Onkel. Dass die Mafia, die schon seit dem 18. Jahrhundert existierte, sich bei dem Umbruch bereicherte, ist eine andere Frage.

Der Aphorismus, den jedes Schulkind kennt, nur offenbar die STANDARD-Redaktion nicht, ist im Übrigen deshalb so berühmt geworden, weil er, über die Zeiten hinweg, prägnant die innerste Logik jeder klugen reformatorischen Politik ausspricht, sei sie links oder rechts. Prof. Dr. Rudolf Burger 1010 Wien

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Sehr geehrter Herr Professor, Sie haben Recht, ich aber auch - das gibt's, und das geht so:

Nachdem Tancredi seinen Onkel verlassen und sich "der Trikolore" angeschlossen hat - vom alten Fabrizio noch mit einem "Röllchen Gold-Unzen" versehen - beginnt sich der Fürst anzukleiden und nachzudenken. Dabei räsoniert er: "Die Trikolore! Prächtig, die Trikolore! Mit diesen Worten nehmen sie ordentlich den Mund voll, die Gauner. Was bedeutet diese Nachäfferei der französischen Fahne, so hässlich im Vergleich zu unserer reinweißen Fahne mit dem Gold des Lilienwappens in der Mitte? Was lässt dieser Mischmasch schreiender Farben sie hoffen?" (usw. usf.) . . . (Salina vollendet sorgfältig seine Toilette, geht dann hinunter): "Der kraftvolle Schritt brachte die Fensterscheiben der Säle, durch die er ging, zum Klirren. Das Haus war heiter, hell und voller Zierrat: vor allem gehörte es ihm. Als er die Treppe hinab schritt, begriff er plötzlich: ,Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist . . .' Tancredi war ein großer Mann; er hatte es immer schon gedacht." (Zitiert nach der Piper-Ausgabe 1984, S. 34 u. 35)

Und genau das habe ich als Ausgangspunkt meiner Interpretation genommen. Wie sich zeigen wird, ist das Haus nur durch die Messalliance Tancredis mit Angelica, der Tochter des Emporkömmlings Don Calogero zu retten: Alter Adel vermählt sich mit neuem Geld, schmutziges Geld schmückt sich mit altem Adel. Das ist die Kapitulation vor der Mafia, die Fabrizio eingestehen muss, und die Worte des Neffen, der die Jugend und den Fortschritt symbolisiert, nimmt er als Handlungsanleitung. Aus seiner Agonie emporgerissen, handelt er einmal in seinem Leben und geht dabei eiskalt vor, um den Rest des Familienbesitzes, des Lebensstils zu wahren,obwohl er genau weiß, dass er damit seine Würde verliert. Fabrizio Salina schließt den Handel mit Calogero ab, er verschafft ihm auch die Senatorenwürde, kurz, er nimmt das Geld der Mafia und verschafft ihr dafür die gesellschaftliche Anerkennung - damit die Dinge bleiben, wie sie sind, müssen sie sich ändern. Dass sie doch nicht so bleiben, erlebt Salina nicht mehr. Ich denke, dass meine Deutung - die übrigens nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern von allen wesentlichen Exegeten des Werkes geteilt wird - durchaus zulässig ist. (Samo Kobenter/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.7.2004)