Begräbnisse laden nicht dazu ein, die Stunde der wahren Empfindung zu zelebrieren. Im Fall des verstorbenen Bundespräsidenten Thomas Klestil ist das nicht anders, es fällt bloß die Diskrepanz zwischen der Beurteilung seiner Arbeit zu Lebzeiten und der nach dem Ableben stärker auf, als es bei gewöhnlich Sterblichen der Fall wäre.

Der ehemalige ORF-Generalintendant Gerd Bacher hat zu Recht auf die Schamlosigkeit verwiesen, die besonders die Nachrufe jener auszeichnet, die Klestils Politik und auch sein Privatleben bis zu seinem Tod mit Häme und Spott bedacht haben. Mit derselben Dreistigkeit, die an Klestils Arbeit zeit seines Lebens kaum etwas Gutes ließ und ihn immer wieder an seine faktische Machtlosigkeit im politischen Tagesgeschäft erinnerte, wurde dem Bundespräsident nach seinem Tod eine Gloriole als staatliche Leit- und Vaterfigur verpasst, was angesichts der verfassungsmäßig abgesteckten Grenzen, an die er bei jeder seiner politischen Initiativen umgehend erinnert wurde, besonders grotesk und verlogen wirkt.

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der bestimmt kein Freund des Amtsverständnisses Klestils war, ist zumindest anzurechnen, dass er ihn in seiner ausgezeichneten Rede bei der Gedenkveranstaltung im Reichsratssaal als Menschen und Politiker würdigte, der sein Bestes versucht hat und der nicht bereit war, sich mit weniger abzufinden als er anstrebte.

Dennoch kann auch Schüssel der Vorwurf nicht erspart werden, mit seinem Verweis auf die angebliche, klärende Aussprache, die er mit Klestil kurz vor dessen Tod geführt haben will, den gerade Verstorbenen als Kronzeugen für eine, dem Kanzler genehme Auslegung der Geschichte angeführt zu haben.

Das ist ähnlich pietätlos wie die Gedenkrede von Nationalratspräsident Andreas Khol, in der er Klestil für die Errungenschaften der schwarz- blauen Regierung verantwortlich machte - einer Regierung, die, wie jeder halbwegs der historischen Wahrheit Zugeneigte weiß, Klestil bis zu seinem Lebensende mit äußerster Skepsis beobachtet und ^beurteilt hat.

Abgesehen davon hat Khol in seinem Bestreben, die Leistungsbilanz der Regierung als eine Klestils zu verkaufen, die Pläne der ÖVP im Österreich- Konvent konterkariert, die Rechte und Pflichten des Bundespräsidenten verfassungsmäßig neu zu fassen und zu definieren: Wenn der Bundespräsident real tatsächlich so viel Gutes für das Land tun kann, wie ihm Khol unterstellt, warum muss dann seine Funktion eingeschränkt und noch stärker dem Parlament unterworfen werden als dies ohnehin schon der Fall ist?

Auch die mediale Aufbereitung der letzten Tage Klestils ist zu kritisieren, wobei das alle betrifft, die in diesem Geschäft tätig sind: Selten wurde die Hilflosigkeit, Berichtenswertes von Peinlichem zu trennen, so deutlich wie in der Mediensache Klestil.

Offensichtlich wirkt die räumliche Distanz auf das Erkennen des Wesentlichen eher stärkend als abschwächend, und so fällt die Beurteilung des Wirkens von Klestil im Ausland eindeutig präziser und angemessener aus. Dort wird vor allem sein Bemühen um die internationale Reputation Österreichs gewürdigt, seine Versuche, Österreich als starken Mitspieler in der EU und als Vermittler im Prozess der Osterweiterung zu etablieren, ohne darüber das Faktum zu vergessen, wie gering sein Gewicht in den innenpolitischen Auseinandersetzungen blieb - und angesichts des österreichischen Umganges mit der viel zitierten "Realverfassung" auch bleiben musste. Der in diesen Darstellungen angeschlagene Ton unterscheidet sich angenehm von dem, der hierzulande zu vernehmen war.

Was von Klestils Amtszeit bleibt, wird man deutlicher wohl erst im Vergleich mit seinem Nachfolger Heinz Fischer erkennen können. Das ist zwar profan, erhöht aber immerhin die Chance, dem Staatsmann und Menschen Thomas Klestil ein gerechteres Urteil zukommen zu lassen als es derzeit möglich scheint. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10./11.7.2004)