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In der Justizanstalt Stein bei Krems sitzen derzeit 800 Häftlinge. Die Justizwache ist dramatisch unterbesetzt

Foto: APA/ Hans Klaus Techt
Immer mehr Häftlinge, aber immer weniger Personal bei der Justizwache - die Situation in heimischen Gefängnissen spitzt sich dramatisch zu. Nach den jüngsten Vorwürfen im Zusammenhang mit Todesfällen hinter Gittern schlagen Experten Alarm.

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Wien/Krems - "Die Situation in unseren Gefängnissen ist sehr, sehr dramatisch" - Michael Neider, für Strafvollzug zuständiger Sektionschef im Justizministerium, schlägt Alarm. Der Mangel an Justizwachbeamten sei eklatant. Neider: "Seit zwei Jahren weisen wir auf diese Entwicklung hin, die Zahl der Häftlinge hat in den vergangenen zwei Jahren um 20 Prozent zugenommen, bei der Justizwache wurde hingegen sogar abgebaut."

Keine Zeit für Betreuungsmaßnahmen

Nach den jüngst bekannt gewordenen Vorwürfen im Zusammenhang mit Todesfällen in heimischen Strafvollzugsanstalten ist die Diskussion um die Sicherheit hinter Gittern neuerlich entbrannt. Auch Franz Pauser, Vorsitzender der Justizwachegewerkschaft mit beruflichem Schwerpunkt in Stein, blickt mit Bedenken in die Zukunft. In die größte niederösterreichische Vollzugsanstalt sollen bald 60 neue so genannte geistig abnorme Rechtsbrecher kommen. Derzeit sitzen in Stein 800 Verurteilte, 300 Justizwachebeamte überwachen sie. Für Betreuungsmaßnahmen bleibt keine Zeit mehr.

An ein Bett gegurtet

Betreuung hatte es auch für Ernst K. nicht gegeben. Seine Leiche ist auf den Bildern zu sehen, die am Dienstag aufgetaucht sind - DER STANDARD berichtete. Die Fotos des im Juni 2001 in der Justizanstalt Stein verstorbenen 56-jährigen Häftlings zeigen ihn blutverschmiert, mit gebrochener Nase und zugestopftem Nasenloch, er ist an ein Bett gegurtet.

Der Häftling hieß Ernst K., er war seit Ende der 60er-Jahre ein Stein-Häftling, ein Dreifachmörder, ein Psychopath, der so gefährlich gewesen sei, dass man keiner psychiatrischen Krankenhausabteilung zumuten konnte, ihn zu behandeln, heißt es offiziell.

Polizist wurde von zwei Kollegen erpresst

"Ich hab ihn noch vor Augen, wie er auf der Meidlinger Hauptstraße den Verkehr regelte", erinnert sich hingegen eine frühere Bekannte. Ernst K. war Polizist, und er war schwul. Deswegen wurde er von zwei Kollegen erpresst. Am 15. April 1968 schließlich nahm die Opfer-Täter-Beziehung eine fatale Kehrtwendung: Ernst K. erschoss seine beiden Kollegen. Sein Versuch, den Doppelmord als Notwehr darzustellen, scheiterte, Anfang der 70er-Jahre wurde Ernst K. zu schwerem Kerker in Stein verurteilt - im damaligen Strafvollzug hieß das: Einzelhaft, keine Besuche, psychologische Betreuung war ein Fremdwort.

Antidepressiva

In Haft galt K. bald als "hoffnungsloser Fall", der mit Antidepressiva ruhig gestellt wurde. Doch Mitte der 70er beging er einen weiteren Mord. Er erwürgte einen Kindesmörder, wahrscheinlich hatte sich der Mithäftling über K.s sexuelle Orientierung lustig gemacht.

Erst nach der großen Strafvollzugsreform von 1975 wurde Ernst K. psychologisch behandelt. Seine aggressiven Schübe bekam aber niemand mehr in den Griff. Als er im Juni 2001 in seiner Zelle wieder einmal tobte, soll er sich das Nasenbein gebrochen haben. Notdürftig verarztet wurde er anschließend in einer Sonderzelle auf einem Bett festgezurrt. Wenig später verstarb er angeblich infolge eines Darmverschlusses. Der Fall wird nun noch einmal geprüft, das Ergebnis der Kommission soll in vier Wochen vorliegen. (Irene Brickner, Michael Simoner, DER STANDARD Printausgabe 9.7.2004)