Man hat sich auf einen der längsten Flüge innerhalb Europas eingelassen (drei Stunden), reiste in die östlichste Ecke des Mittelmeeres zwischen der Türkei und dem Libanon, um hier zu stehen und „Schön“ zu sagen. Und dieweil man die Kamera an die Stirn führt, hebt schon der Singsang des Fremdenführers an: An diesem einmaligen Fleck sei Aphrodite den Wellen entstiegen, die Schöne, die Liebesgöttin. Sie lieh den Dingen ihren Namen: dem Wein, den Tavernen, den Bars und Hotels, dem Mietautounternehmen und dem Melonenstand am Straßenrand, auf daß er die Touristen anlocken sollte in Scharen.

Dieser Punkt, an dem sich die Touristen rotten, liegt unweit von Paphos, einer der Hochburgen des Planschens und Badens. Ein wenig lockerer verbaut und hübscher angelegt als sein östliches Gegenstück Protaras, widmet sich der Ort genauso emsig dem Urlaubsgeschäft mit Andenkenläden, Juwelieren und Gaststätten in rhythmischer Abfolge und einer Christkindlmarktmeile am Hafen, wo genervte Eltern dem Ankauf eines Plastikschwertes oder eines trommelnden Affen zustimmen müssen, während sie selbst in Verhandlungen über einen Sonnenuntergang in Öl verstrickt sind.

Aber geh nur ein paar Schritte hinein in die Insel oder ein paar Kilometer abseits der breiten Pfade, so bist du allein mit einer Landschaft, die Herz und Sinne erobert. Sanft fällt das Tróodos-Gebirge gegen die Küsten ab, rundet sich zu Hügeln, auf denen Wein wächst und Orangen, Zitronen und Grapefruits, wo Bananenplantagen angelegt sind und wilde Bougainvillea, ja sogar Jacarandabäume stehen. Ziegen und Schafherden flecken die gelben Wiesen, und einzelne Gehöfte erkennt der Wanderer von weitem an den weißen Segeln der Wasserpumpen.

Wer tiefer ins Land vordringt, gewinnt an Höhe, wird in den Schatten der Buchen-und Eichenwälder tauchen und schließlich auf weichen, tiefen Teppichen aus Piniennadeln gehen. Er erobert das Bergland und stößt vielleicht unvermittelt auf einen Skilift, das Wintersportzentrum Zyperns.

Was den Reiz der Insel ausmacht? Nicht unbedingt das Einzelne, der Strand oder ein Kloster, die Städte oder die Dörfer. Das ist, für sich betrachtet, durchaus beachtenswert, doch die Summe und Vielfalt der kulturellen, politischen und körperlichen Erlebnisse verdichtet sich zu einem behaglichen, zufrieden ausgeatmeten „Schön“.

Am Abend nach einem Schluck Commandaria, den man in einem Keller in den Bergen zum ersten Mal gekostet hat, den schweren süßen Wein, der so leicht zu Kopf steigt. Man hat die Einsiedelei des Neophytos besucht, händisch in den Fels gehauen und mit den mit bunten, strengen Heiligengesichtern der byzantinischen Fresken bemalten Wänden. Im Haus des Dionysos staunte man über die prächtigen Fußbodenmosaike aus dem frühen dritten Jahrhundert und in den Königsgräbern der Ptolemäer über die strenge Eleganz der unterirdischen Architektur. Man war gegen alle Verbote ins göttliche Bad der Aphrodite getaucht, da oben in den Hängen der Halbinsel Akamas, nach einem Spaziergang durch eine Allee von Johannisbrotbäumen. Und schlug so Kapitel für Kapitel zurück in den frühen Epochen der Insel. Von den Byzantinern über die Römer und Griechen. Bis ins Reich der Legenden.

Dahin gehört auch die Geschichte von Entspannung während einer Kreuzfahrt. In Limassol betraten wir federnden Schrittes die Gangway zur schneeweißen Yacht „Princess Victoria“. Eine kurze Fahrt von rund 17 Stunden sollte uns nach Ägypten spülen, nach Port Said zuerst, von wo uns dann ein Bus nach Kairo und zu den Pyramiden von Gizeh bringen sollte.

Die „Princess Vicoria“ lief aus. Ein Piratenmädchen sprang auf ahnungslose Passagiere zu, hielt ihnen den Krummdolch an den Hals und zwang die entsetzten Leute zu einem Lächeln für ein Foto, das man am selben Abend noch erstehen konnte. Die Mahlzeiten an Bord gerieten zur Geduldprobe, denn die Schlange der Wartenden wand sich über zwei Decks. Über das Programm im Nightclub wollen wir den Mantel des Schweigens breiten.

Am nächsten Morgen, clock 8, die Landung in Port Said. Die Busse warteten, wie versprochen. Auch als wir alle drin saßen. An den Fenstern hielten malerische Ägypter kunstvoll gedrechselte Stöcke hoch. Und Wasserpfeifen. Und Lederkamele. Und kleine Hocker. Und Taschen. Und Teppiche. Und Papyrusrollen. Wir glotzten und warteten. Warum? Inschallah!

So lange wir gewartet hatten, so schnell fuhren wir dann. Begleitet von Militärfahrzeugen raste der Konvoi zwei Stunden lang durch die Wüste nach Kairo. Verkeilte sich in den Verkehr der 14-Millionen-Stadt. Gewann Meter um Meter zum Ägyptischen Museum. Wir rannten im Dauerlauf durch die Gänge. Ramses II., hockender Schreiber, Pfauenthron, Grabbeigaben, Streitwagen, Prunkbett – „Schauen Sie, die Augen aus Bernstein“ – Tut Ench Amun... Oh!

„Ein bißchen schneller, der Bus wartet!“ Wieder durch die Stadt. Menschen in langen Gewändern, schmale Gassen – Ich wollte so gerne noch schauen.., aber der Wagen, der rollt!

Endlich kamen die Pyramiden in Sicht. Wir stolperten ins Freie und rannten beinahe in ein Kamel. Sein Besitzer lächelte. „Ride a camel?“ Nein. Er lächelte breiter: „Ride a camel?“. No! „Handbags?“ No. „Skarabäus?“ No, thank you. „Postcards?“

Ich wollte fotografieren, doch das Kamel kam mir, geübt manövriert durch seinen Treiber, immer dazwischen. „Ride a camel?“ Der Busfahrer gab durch ungeduldiges Hupen das Zeichen zum Aufbruch. „Hey, mister! I take a picture from you riding on my camel.“ „Shukran“, sagte ich nach Anweisung der Fremdenführerin. Allerdings erst im Bus.

Wir fuhren zurück nach Port Said zum Schiff. Das war sie also, die Kreuzfahrt von Zypern nach Ägypten. Es gibt auch Dreitagestouren, wo man noch Israel und Syrien sehen kann. Wir legten in Limassol an. Ich legte mich drei Tage, ohne mich zu bewegen, an den Strand.

Die jüngste Vergangenheit, und hier schließen wir an den Hinweis „politisches Erlebnis“ auf Zypern an, bescherte der Welt eine der letzten geteilten Hauptstädte. Seit der Invasion der Türken auf die kleinere Nordhälfte Zyperns im Jahr 1974, die Tausende Griechisch-Zyprioten heimatlos machte, wurde ein Wall aus Mauern, Fässern, Brettern und Stacheldraht durch Nikosia gezogen. Auf beiden Seite wachen die verfeindeten Soldaten, in der schmalen Mitte wacht die UN über die sensible Grenze. Die Häuser nahe an der Demarkationslinie verfallen, die glaslosen Fenster füllen Sandsäcke. Wer von der griechischen auf die türkische Seite will, darf das, solange er Ausländer ist, doch auch nur bis 17 Uhr.

Am Grenzübergang halten schwarzgekleidete Frauen Fotos von vermißten Angehören in stummem Protest in die Kameras – und plötzlich reiht sich am selben Film an die Bilder von Orangenbäumen, Ausgrabungen, Wasser, Strand, Pool und feuchtfröhlichen Bouzouki-Abenden eine ganz andere Wirklichkeit. (Der Standard, Printausgabe)