Wien - Die Tendenz der USA, die Normen ihres Rechtssystems dem Rest der Welt aufzuzwingen, stellt nach Meinung des deutschen Spitzenanwalts Konstantin Mettenheimer europäische Unternehmen vor neue Herausforderungen. Mettenheimer, Chef der internationalen Großkanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, die auch in Österreich stark vertreten ist, bringt im STANDARD-Gespräch zwei Beispiele, die Juristen derzeit beschäftigt:

Am 21. Juni hat der Oberste Gerichtshof der USA entschieden, dass auch in ausländischen Prozessen das amerikanische Beweisaufnahmeverfahren (Pre-Trial Discovery) angewandt werden kann. Im konkreten Fall ging es um ein Kartellverfahren vor der Europäischen Kommission zwischen den beiden US-Chipherstellern AMD und Intel. AMD forderte ein Beweisaufnahmeverfahren gegen Intel in den USA, in dem Intel lastwagenweise Dokumente hergeben musste, die von der EU-Kommission gar nicht verlangt worden waren. Dies war für den Beklagten teuer, aufwändig und gab AMD die Chance, an wertvolle Informationen heranzukommen. Allein der Antrag auf Pre-Trial Discovery kann in einem Rechtsstreit zu einem massiven Druckmittel gegen den US-Beteiligten werden.

"Die USA nehmen juristisch einen sehr weit reichenden Standpunkt ein, auf den man sich einstellen muss, wenn man mit Amerikanern in einer geschäftlichen Verbindung steht", sagt Mettenheimer. "Ob man das mag oder nicht, ist eine müßige Frage."

Mechanismus

Schwierigkeiten macht das Sarbanes-Oxley-Gesetz, das nach dem Enron-Bilanzfälschungsskandal verabschiedet wurde, jenen ausländische Konzerne, deren Aktien an der Wall Street gelistet sind. "Laut Abschnitt 404 muss der Vorstand nicht nur unterschreiben, dass die Bilanzen richtig sind, sondern auch, dass es einen Mechanismus gibt, um die Richtigkeit der Abschlüsse zu gewährleisten. Dafür müssen manche große Unternehmen einen ganzen Apparat mit bis zu zehn Mitarbeitern neu aufbauen."

Dazu kommt, dass international aktive Konzerne auch die Corporate-Governance-Vorschriften anderer Länder erfüllen müssen, die nicht immer kongruent sind. So fordert Sarbanes-Oxley etwa die Einrichtung eines völlig unabhängigen "Audit Committees", in dem nur externe Direktoren tätig sind. Dies widerspreche aber dem deutschen Prinzip der Mitbestimmung durch die Belegschaft.

Sarbanes-Oxley wurde 2002 unter öffentlichem Druck durch den Kongress gepeitscht und wird von vielen US-Spitzenjuristen als populistische Fehlkonstruktion kritisiert. Dennoch passen sich die EU-Staaten derzeit ans US-Regelwerk an, um ihren Konzernen nicht durch unterschiedliche Auflagen das Leben noch schwerer zu machen, sagt Mettenheimer.

Kein Lohn, aber Strafe

Insgesamt habe sich Corporate Governance in den USA und Europa zuletzt gebessert, sagt Mettenheimer. "Wer Corporate Governance heute richtig macht, wird an der Börse zwar nicht belohnt, aber wer es schlecht macht, wird sicherlich bestraft. Das schafft auch einen ökonomischen Anreiz für gutes Verhalten."

Er sieht auch große Vorteile im angelsächsischen Board-System, das mit der Einführung der Europa-AG auch in Deutschland und Österreich möglich wird. "In Deutschland hat der Aufsichtsrat nur so viel Information, wie er vom Vorstand bekommt. Im englischen System sitzt die ganze Gruppe in einem Saal, und der Non-executive Director (externe Verwaltungsrat) kann den Vorstand (Executive Director) direkt fragen, ohne dass er ihn einladen muss." Die Qualität der Kontrolle aber hänge "viel mehr von den Personen als vom System ab. Wenn Schwester oder Schwager des Hauptgesellschafters drinnen sitzen, ist es sinnlos."

Spitzenmanager müssten immer mehr Zeit dafür aufwenden, Corporate-Governance-Regeln zu erfüllen oder sich - wie im Mannesmann-Prozess - vor Gericht zu rechtfertigen. Durch Sarbanes-Oxley könne es passieren, dass ein deutscher Konzernchef vor einem US-Strafgericht landet, weil er nicht für ein ausreichend transparentes Berichtwesen in seinem Unternehmen gesorgt hat. Das wäre laut Mettenheimer "eine neue Dimension" der extraterritorialen US-Rechtsprechung. (Eric Frey, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.7.2004)